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1928 war Dr. Heinrich Sahm Senatspräsident,
ein sehr fähiger konservativ denkender, aber parteiungebundener Mann,
der die Danziger Privilegien mit großer Zähigkeit gegen die polnischen
Herrschaftsansprüche verteidigte. Da es sehr oft um Fragen der Wirtschaftsbeziehungen
ging, hatte mein Vater sehr viel mit Polen und auch dem Völkerbund, wo Dr. Sahm selbst
jedoch die wichtigste Rolle zukam, zu verhandeln. Ich war damals noch ein
kleiner Junge und so will ich es meiner Mutter überlassen, aus ihrer
Sicht unser Leben in der Zeit zwischen 1928 und
1933 zu beschreiben. 'Es lebte sich in Danzig billig gegenüber
den Preisen, die im Reich üblich waren. Das polnische Hinterland brachte
seine Erzeugnisse auf die Wochenmärkte. Danzig hatte seine eigene Währung,
begründet auf holländischer Goldwährung. Die allgemeine Inflation
der Nachkriegsjahre war in Danzig ein Jahr früher beendet. Die Gehälter
der deutschen Beamten, sowie der Pensionäre waren höher als im Reich
und im Gegensatz zu ihm, durften Danziger Devisen sparen.' Dieses Recht, Devisen
zu besitzen, das auch die Naziregierung nicht ändern konnte, erleichterte
es wenigstens den wohlhabenderen Juden, sich vorm Anschluß ins Ausland
in Sicherheit zu bringen. Doch nun wieder meine Mutter: 'Als oberste internationale
Behörde hatte der Freistaat Danzig einen hohen Kommissar. Zu unserer
Zeit war es der Italiener Graf Gravina. Seine Vorgänger waren Engländer,
Schweden, sein Nachfolger ein Schweizer. Ebenfalls ein Schweizer, Dr. Enzinger,
war damals Hafenkommissar. Beide hatten den Freistaat beim Völkerbund
in Genf zu vertreten und
waren bei Streitfällen zwischen Polen und Danzigern höchste Instanz.
Fast das gesamte Ausland war durch Konsulate vertreten, es war ein internationales
Gesellschaftsleben, dessen Mittelpunkt das Haus Gravina war. Graf Gravina,
Enkelsohn der Cosima Wagner, und seine Gattin, geborene Prinzessin Belina,
waren die idealsten Gastgeber. Über das konventionelle hinaus waren wir
uns freundschaftlich näher gekommen. Auch wir hatten vielerlei gesellschaftliche
Verpflichtungen in und außerhalb des Hauses zu erfüllen. All dieses
war interessant, vergnüglich und anstrengend. Es machte mir Freude mitzutun,
gut angezogen auf Festlichkeiten zu gehen und daheim eine schöne Gastlichkeit
pflegen zu können. Neben dem dienstlichen Kreis fanden wir liebe Freunde,
mit denen wir viele und anregende Abende zusammengesessen haben. Mein Mann
war beruflich sehr erfüllt und zufrieden. Seine dienstlichen Aufträge
führten ihn nach Genf, nach Rom - an dieser Reise, die mir unvergessen ist, durfte ich
teilnehmen - und ins sonstige Ausland. Unser Haus, fünfzehn Minuten von
der See gelegen, sah viele liebe Menschen als Feriengäste. Die Jungen
fanden Freuden an und in der See. Die Schule blieb eine zu überstehende,
aber nicht geliebte Pflicht. Ihre Freunde und Freundinnen waren unsere Gäste,
und an allen Veranstaltungen, Vorträgen, Konzerten, Theater und den
Waldfestspielen konnten sie teilnehmen.'
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