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Meine  Mutter wurde nach 10-jähriger Ehe geboren, als beide Eltern schon um die vierzig waren. Im Sommer wohnten die Großeltern in der Röpergasse, nahe der Kuhbrücke direkt an der Mottlau mit Blick auf den Danziger Hafen und die Speicherinsel, im Sommer auf der Westerplatte, jener damals grünen Halbinsel am Fuße der Weichsel, die nach dem ersten Weltkrieg eine polnische Enklave im Freistaat Danzig wurde und mit bewundernswerter Tapferkeit von den Polen gegen eine Übermacht zu See und zu Lande verteidigt worden ist. In Erinnerung daran haben die Polen, die sonst alle deutschsprachigen Namen ins Polnische transponierten, den Namen 'Westerplatte' beibehalten.

Später zogen die Großeltern nach Danzig-Langfuhr ins Jeschkental, nicht weit entfernt vom Jeschkentaler Wald, der in mehreren Romanen von Günter Grass eine so bedeutende Rolle spielt, daß wohl dessen Eltern in der Nähe der Großeltern gewohnt haben müssen.

Die Schullaufbahn meiner Mutter endete wenig rühmlich als Absolventin einer Haushaltslehrerinnen-Schule, damals scherzhaft 'Klopsakademie' genannt. Für ihre drei Söhne war das vorteilhaft. Sie erwartete auch von ihnen keine Spitzenleistungen - Hauptsache wir wurden versetzt. Auf einem Ball der katholischen Studentenverbindung Pruthenia lernte sie den Studenten an der Technischen Hochschule Hugo Althoff kennen. Er war bei dieser Verbindung Fuchsmajor. Ich besitze noch ein Bild von ihm in voller Wichs mit nach oben gezwirbeltem Schnurrbart. Was heute unglaublich komisch wirkt, muß damals beträchtlichen Eindruck gemacht haben.

Mein Vater stammt aus Westfalen. Er wurde in Ostbevern geboren, einem Dorf in der Nähe des Wallfahrtsortes Telgte. Auch an diesem Ort spielt eine Erzählung von Günter Grass, das 'Treffen in Telgte' und es gelingt ihm hier, durch Personen der Handlung eine Verbindung zu seiner Heimatstadt herzustellen. Vater war das siebte von zehn Kindern eines Ehepaares, welches am Ort eine Wirtschaft mit kleiner Landwirtschaft betrieb. Mein Großvater hieß noch Schulze-Althoff, war nachgeborener Sohn eines Schulzen, also eines nicht-lehenspflichtigen freien Bauern. Die Geschwister meines Vaters blieben im Wesentlichen im Umfeld ihres Geburtsortes. Die zahlreichen Schwestern heirateten in Bauernhöfe weit unter dem Niveau des großelterlichen Schulzenhofes, vorwiegend jedoch in Wirtschaften ein.

Nur eine Tante bekam eine Ausbildung zur Volksschullehrerin, mußte jedoch dafür auf die elterliche Mitgift verzichten. Meine Mutter schreibt darüber: 'Westfalen der Vor- und Nachkriegsjahre des ersten Weltkrieges war noch eigentümlich streng und in gewisser Weise rückständig und eng. Die katholische Lehrerin führte ein sehr zurückgezogenes Leben inmitten aller Weltlichkeit. Sie mußte sich schon in der Jugend würdig anziehen. Ein frei getragener Hals z.B. war eine Ungehörigkeit. Vielerlei Verkrampftheiten der älter werdenden Lehrerin, viel Altjüngferlichkeit und ungesunde Prüderie, haben ihren Ursprung in dem zu engen Gesichtskreis und der zu kleinlichen Lebensform, in der sich niemand ungebrochen entfalten konnte.

Immerhin war sie die einzige von Vaters Schwestern, die 1945 mir, dem heimatvertriebenen Neffen, Vater von zwei Kindern, der noch nichts beruflich vorweisen konnte, einen alten, ursprünglich klassizistischen, dann auf Wiener Barock umgestalteten Sekretär überließ, der mich dann mein ganzes Leben begleitet hat. Einige andere Tanten sind mir damals wie eine Galerie bösartiger, über die Maßen häßlicher, geiziger Hexen in Erinnerung. Ich war froh, von dort wieder nach Bayern zurück zu fliehen, obwohl das flache Land auch heute noch eine heimatliche Anziehung auf mich ausübt.

Es war der Ortspfarrer, dem der damals zwölfjährige Hugo, aufgeweckter Schüler der Ostbeverner Volksschule auffiel. Er verschaffte ihm ein Stipendium zum Besuch des Warendorfer Gymnasiums. Dank seines Gedächtnisses und seiner Kreativität konnte er zwei Klassen überspringen. Mit welchen Mitteln er dann studiert hat, ist mir unbekannt. Hier könnten die Eltern und ältere Geschwister geholfen haben. Jedenfalls studierte er Ingenieurswissenschaft in Dresden und die letzten Semester dann in Danzig. In Dresden promovierte er 1920 zum Dr. ing.

Bei besagtem Ball lernte er meine Mutter kennen. Beide verlobten sich 1910 und heirateten 1912. Kirchlich getraut wurden sie in der Herz-Jesu Kirche in Danzig-Langfuhr. Die Trauung wurde vollzogen durch den gemeinsamen Freund Walter Wienke, der wohl damals Kaplan gewesen sein dürfte.

Pfarrer Wienke ist später zu fragwürdigen literarischen Ehren gekommen. In dem berühmten Roman von Günter Grass 'Die Blechtrommel' taucht seine Person immer wieder auf. Grass hat den Namen nur um den Buchstaben h zu Wiehnke erweitert. Er war auch, wie Grass berichtete, nur mittelgroß und außerordentlich rundlich. Grass beschreibt ihn als bigotten wusseligen Geistlichen. Ich habe ihn als ungemein netten, herzlichen, im Grunde auch einfachen, dabei hochintelligenten Menschen kennengelernt. Ich sagte zu ihm Onkel Pfarrer und du. Ich war als Kind öfter in seinem gemütlichen Pfarrhaus. Er hatte ein gutes Gespür für Kinder und beantwortete meine kindlichen Fragen immer sachlich und ruhig. Die Südfront seines Hauses war mit echtem Wein bewachsen. Die Trauben wurden sogar reif und ich durfte mir so viele abpflücken als ich essen konnte.

Er spielte, wie mein Vater, gerne Skat. Ein Spiel, ausgetragen im Zoppoter Parkhotel, Parkhotel Zoppot gegenüber dem Spielcasino, dauerte von abends acht bis zum frühen Morgen des übernächsten Tages. Onkel Pfarrer unterbrach das Spiel nur für die Messe. Er fuhr dann morgens mit dem Vorortzug zum neun Kilometer entfernten Bahnhof Langfuhr, las in der ganz nahe gelegenen Herz-Jesu Kirche die Fünf-Uhr Messe, war kurz nach sechs schon wieder zurück und man spielte noch 20 Stunden bis zum nächsten Morgen. Meine Mutter war sehr beunruhigt, weil sie sich nicht vorstellen konnte, daß vernünftige Männer 30 Stunden hintereinander Skat spielen könnten.

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Last Update: 24.02.2005