|
|
Ihre Hilfe |
|
Links |
|
|
Kapitel: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
20
Die deutsche Wehrmacht hatte mit Beginn
des Polenfeldzugs die eigene Soldatenehre aufgegeben und sich zum Vollstreckungsorgan
eines unmenschlichen Systems mißbrauchen lassen. Weniger vielleicht
wie die anderen Organisationen des Nazisystems, aber dennoch oft genug.
Dies alles war mir damals nicht so voll bewußt. Doch obwohl ich gerade
erst neunzehn Jahre geworden war, graute mir vor diesem System. Wenige Tage
später schritt Hitler die Front der Truppen ab. Ich stand im ersten
Glied. Der Abstand zu Hitler betrug für wenige Sekunden nur etwa ein
bis zwei Meter. Sein Anblick hat mich nicht sonderlich beeindruckt. Mich
beschäftigte vielmehr der Gedanke, daß ich ihn hätte töten
können. Handgranaten hatten wir alle, kein Vorgesetzter hat uns vorher
nach irgendwelchen Waffen durchsucht. Granate abziehen, auf ihn zuspringen,
trotz Schüssen an ihm festgeklammert bleiben, mit ihm zerfetzt werden.
Das wäre der Weg gewesen, den Tyrannen zu beseitigen. Ich war zu jung
und hing am Leben. Was wäre bei nationalsozialistischer Sippenhaftung
auch aus meiner Familie geworden. Lag es an meinem Hang zur Dramatik? Verfolgt
hat mich der Gedanke während des ganzen Krieges und darüber hinaus.
Ich war kein Held, wohl später ein brauchbarer, erfahrener Soldat, ein
Held nur in der Phantasie und später auf der Bühne. Am 19. September zog Hitler mit großem Pomp und vom Volke mit Jubel begrüßt in Danzig ein. Er fuhr die festlich geschmückte Langgasse entlang auf den Langen Markt zu, den man getrost als einen der architektonisch schönsten Plätze der Welt bezeichnen kann. Ich stand in Zivil an der Straße und schaute dem Schauspiel zu. Warum Göring, damals preußischer Ministerpräsident und Kommandeur der Luftwaffe, zu Fuß dicht an mir vorbeigegangen ist, ist mir bis heute schleierhaft. Doch ich kann schwören, er war wenige Meter von mir entfernt und ich sah sein Gesicht, und das Gesicht war geschminkt. Göring war ja eine der schillerndsten Figuren der Naziführungsclique. Er war dick, genußsüchtig, manchmal schien er gutmütig, spielte den Jovialen und war oft extrem grausam. Er war prädestiniertes Objekt des Witzes, der einzigen Waffe des Volks gegen die Unterdrücker. Zwei Kostproben: Beim Brand des deutschen Reichstages stürzt ein Adjutant zu ihm ins Zimmer und ruft: "Herr Ministerpräsident, der Reichstag brennt!" Görings Antwort: "Was, jetzt schon?" Er hatte die Schauspielerin Emmy Sonnemann geheiratet. Einige Zeit später kam die Tochter zur Welt, sie hieß Edda, für der Volksmund die Abkürzung von 'Emmy dankt dem Adjutanten'. Im Deutsch-Russischen Vertrag waren die baltischen Staaten dem Einflußbereich Sowjet-Rußlands zugesprochen worden. Ab November begann nun der Exodus der Balten-Deutschen aus ihren angestammten Gebieten Lifland, Estland und Kurland, der ehemaligen Provinz des russischen Reiches, wo sie als kulturelle und wirtschaftliche Oberschicht riesige Herrensitze bewirtschafteten und im Dienst der Zaren zu hohen Ämtern aufgestiegen waren. Nun wurden sie 'heim ins Reich' geholt, das heißt, sie wurden dort angesiedelt, wo man vorher die Polen vertrieben hatte. Bei uns in Zoppot wurde über einige Monate ein Pfarrersehepaar mit zwei erwachsenen Töchtern einquartiert. Lebensmittel waren damals schon rationiert und so bestaunten wir fast ehrfürchtig ihre mitgebrachten Vorräte. Am meisten beeindruckte ein kistengroßer Quader durch Salz haltbar gemachter Butter, der mindestens fünfzig Kilogramm gewogen haben muß. Dazu kamen große Mengen Honig. Marmelade war nicht dabei, so etwas aßen nicht die Herrschaften, sondern nur das Gesinde. Es waren hochgebildete Leute mit vornehmer Zurückhaltung und erstklassigen Manieren, so daß selbst meine Mutter beeindruckt war. Die eine Tochter war Bildhauerin, die andere Pianistin. Bruder Klaus, der damals gerade sein Studium als Arzt beendete, und ich führten die Töchter aus und zeigten ihnen das Zoppoter Nachtleben. Unvergeßlich bleibt mir der Abend, bevor ich wieder einrücken mußte. Ich lag im verdunkelten Biedermeierzimmer auf dem Sofa. Vom Herrenzimmer klang gedämpft die Unterhaltung herüber und die Pianistin spielte nur für mich sicher zwei Stunden lang ihren Lieblingskomponisten Alexander Skriabin. Noch einmal konnte ich für einige Zeit meine stumpfsinnige Soldatenexistenz und den bevorstehenden Kriegseinsatz vergessen. Seitdem ich die Uniform tragen mußte, steckte im Stiefelschaft die Reclamausgabe von Burckhardts 'Kultur der Renaissance in Italien' und half mir, immer wieder für kurze Zeit in andere Sphären zu entfliehen, wenn der Stumpfsinn um mich herum unerträglich wurde. |
|
Kapitel: |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Ihre Hilfe |
|
Links |
|
|