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25
Die Fahrt zur Truppe war lang. Die Lokomotive schob immer einen leeren Güterwagen vor sich her, der in die Luft flog, wenn der Zug auf eine Mine lief. Indessen waren ganze Landesteile in der Hand gut ausgerüsteter Partisanen, die den deutschen Truppen nicht weniger zu schaffen machten als die feindlichen Soldaten selbst. So wußte man nie genau, ob wir gerade den Feind umzingelt hatten oder er uns. Im Landser-Jargon: "wer kesselt wen". Als wir beim Divisionsgefechtsstand angekommen waren, begrüßte der Divisionskommandeur die etwa zehn angetretenen jungen Leutnants mit den Worten: "Na, meine Herren, hat es sich in der Heimat auch schon herumgesprochen, daß wir den Krieg verlieren?" Um dann einige, darunter auch mich, anzuschnauzen, ich hätte mich nicht nach Vorschrift zur Stelle gemeldet. Die kriegstauglichen Jahrgänge waren damals schon so weit dezimiert, daß in meinem Zug nun schon Männer über vierzig im Einsatz waren. Wenn ein Offizier bisher vor seinem Zug hergegangen war, so war es nun notwendig, hinter den Soldaten herzumarschieren und die um ihr Leben bangenden Familienväter, die einen geradezu anflehten, sie doch zurückzulassen, zum Angriff voranzutreiben. Bei uns galt folgende Statistik: der normale
Soldat starb durchschnittlich bei der fünften, der Offizier bei der
dritten Verwundung. Die Statistik hatte längst den Glauben an irgendein
vorherbestimmtes Schicksal ersetzt und tut es für mich heute noch. Oder
wie anders soll ich verstehen, daß von meiner Abiturklasse mehr als
die Hälfte im Krieg gefallen sind? War ich irgendwo von irgendwem dazu
bestimmt zu überleben, die anderen aber nicht? Ich kann und will es
mir nicht vorstellen. Ein bißchen konnte man die statistische Wahrscheinlichkeitsrechnung
dadurch beeinflussen, daß man als erfahrenes Frontschwein sich der
jeweiligen Situation besser anpaßte und dadurch eine etwas größere
Chance hatte als der unerfahrene, gerade erst an der Front eingesetzte, womöglich
auch noch ältere Soldat.
Es war im Januar 1944, als ich an mir eigentümliche Veränderungen feststellte. Meine Haut fühlte sich überall taub an, ich verlor Haare und mein Gang wurde sehr unsicher. Ich suchte unseren Hausarzt auf. Der hieß mich, mit geschlossenen Augen den rechten Arm zu kreisen und dann mit dem Zeigefinger meine Nasenspitze zu berühren. Der Zeigefinger landete überall, nur nicht auf der Nasenspitze. Auch gelang es mir nicht, mich auf einem Strich Fuß vor Fuß vorwärts zu bewegen. Wo hatte ich diese Übungen schon einmal beobachtet? Noch während der Untersuchung fiel es mir ein. Im Dezember hatte ich den Wolfgang-Liebeneiner-Film 'Ich klage an' gesehen. Gut gemacht, mit Heidemarie Hatheyer, Paul Hartmann und Matthias Wiemann, der einen Arzt spielte, in den Hauptrollen. Wiemann hatte mit der Frau die gleichen Versuche angestellt und multiple Sklerose diagnostiziert. Als die Krankheit sich dann verschlimmerte, gab er ihr auf Verlangen die Todesspritze, wofür ihn das Gericht freisprach. Er hatte das Kinopublikum auf seiner Seite, welches nicht merkte, daß die Nazipropaganda durch den Film geschickt versuchte, die Bevölkerung für den Gedanken der Euthanasie zu gewinnen. Ich hatte also multiple Sklerose. Als der Arzt, der mich sofort in das Nervenlazarett in Elbing überwies, mir beim Abschied sagte: "Aber multiple Sklerose haben sie nicht", wuchs meine Gewißheit. Und tatsächlich war ich, wie ich später feststellte, mit diesem Befund eingewiesen worden. Nach der Rückenmarkpunktion sagte der leitende Stabsarzt: "Ich gebe ihnen mein Offiziersehrenwort, daß sie nicht an multipler Sklerose, sondern an einer schweren, aber heilbaren Polyneuritis erkrankt sind." Auf das Ehrenwort eines Offiziers verließ man sich damals immer noch ganz blind. So dachte ich und auch alle anderen. Nach einem viertel Jahr hatte ich die Krankheit überwunden und wurde, heimat-diensttauglich, wenn auch noch mit offenem Gaumen, zum Ersatzbatallion in Jena einberufen. Hier erlebte ich voller Verzweiflung das verunglückte Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944. Wenige Tage später mußte die ganze Garnison antreten. Ein General hielt eine Ansprache, die von begeisterter Unterwerfung vor Hitler nur so triefte und nahm uns einen erneuten Eid auf den Führer ab. Ab sofort hatte der Soldat mit dem deutschen Gruß zu grüßen. Das Heer war damit endgültig zu einer Parteiorganisation verkommen. Ich konnte für den Masochismus der meisten Generäle nur noch Verachtung aufbringen. |
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