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12
Kurz nach meinem Gastspiel beim 'Jungdeutschen Orden' trat ich in den katholischen Jugendbund für höhere Schüler 'Neudeutschland' ein. Auch dieser Bund war am Bild des deutschen Ritterordens orientiert. Seine Mitglieder wurden als Jungknappen aufgenommen, wenn sie Fuß gefaßt hatten zum Knappen befördert, dann Jungritter und schließlich - da waren sie meist schon Gruppenführer - mit dem Wimpel statt des Schwertes zum Ritter geschlagen. Die vier Gruppen des Freistaates waren zu einem Gau zusammengefaßt, der von einem Gaugrafen geleitet wurde. Gaugraf war zur Zeit meines Eintritts ein Mitschüler von Klaus. Ich glaube er hieß Walter Olbricht. Bundesführer war der Jesuitenpater Esch, eine von uns allen verehrte Persönlichkeit. Ich vermute, daß er von seinen Ordensoberen schon den Auftrag hatte, Nachwuchs für den Orden zu rekrutieren. Wieso wäre ich sonst mit etwa vierzehn Jahren entschlossen gewesen, später entweder Schauspieler oder Jesuit zu werden? Er hat jedoch nie in diesem Sinne agitiert. Es muß allein an seiner Ausstrahlung gelegen haben. Daß der erste Wunsch bald überwog, hing sicher auch damit zusammen, daß es mich doch arg zu den Mädchen hinzog. Ich war zwölf, als wir unter seiner
Leitung drei- oder viertägige Exerzitien erlebten. Vom Inhalt habe
ich nichts in Erinnerung, wohl aber die feierliche Stimmung, die innere
Sammlung durch das Redeverbot, die lockere, auch humorvolle und so gar nicht
frömmelnde Gestaltung durch Esch. Dies alles war ein stigmatisierendes
Erlebnis, das wahrscheinlich noch heute im Unbewußten fortwirkt, mein
magisch kindliches Fühlen ins Mythische beförderte, dorthin, wo
Identifikation auch ein geistiger Akt ist. So wurde mir Katholizismus zur
bewußt gelebten Daseinsform. Innerhalb dieser Daseinsform bildeten
wir eine Elite, eben einen Ritterorden, aufgerufen zur Verteidigung des Glaubens.
Die Nazis wollten die Neudeutschen um 1935 verbieten, mußten das Verbot jedoch auf Intervention des hohen Kommissars wieder zurücknehmen. An hohen Festtagen, vor allem an Fronleichnam, trafen sich die katholischen Jugendverbände zu eindrucksvollen Kundgebungen vor dem Dom zu Oliva. Später kam es zu Gegendemonstrationen der Hitlerjugend. Schon 1934 hatte Walter Olbricht bei einem Gauzeltlager halb scherzhaft ausprobiert, wie sich die Hakenkreuzbinde auf unserer grünen Kluft ausnehmen würde. Olbricht erzählte uns bei dieser Gelegenheit auch eine rührende Geschichte: Im Reich hätten Neudeutsche ein Zeltlager veranstaltet. Da hätte eine Autokolonne gehalten und Hitler sei ausgestiegen. Er habe sich erkundigt, um wen es sich handele, habe der Lagerkasse hundert Mark spendiert, den Jungens viel Spaß gewünscht und sei weitergefahren. In dieser wahrscheinlich erfundenen Geschichte verbirgt sich die wahnwitzige Hoffnung, vielleicht doch noch als Bund im dritten Reich zu überleben. Indessen hatte ich durchgesetzt, daß die Zoppoter Neudeutschen ihr Gruppenheim in einem geräumigen hellen Kellerraum unseres Hauses einrichten konnten. Ab 1934 war ich dann als Jungritter selbst Gruppenführer und 1936, also mit fünfzehn Jahren, wählte man mich, übrigens in einer Kampfabstimmung gegen den Führer der Gruppe der Stadt Danzig, zum Gaugrafen. Der damit notwendige Ritterschlag wurde in feierlicher Form vom Bischof O'Rourke im Olivaer Dom selbst vollzogen. O'Rourke ist kurz darauf nach Rom zurückberufen worden. Sein weicher Charakter war dem Druck der Nazis wohl nicht gewachsen. Als Gaugraf habe ich noch an einem Bundesthing
in Osnabrück oder
Paderborn teilgenommen,
das von Pater Esch geleitet wurde. Es kann also nicht stimmen, daß
die Neudeutschen schon 1933 verboten wurden, wie in Lexika behauptet wird.
Dennoch war ich wohl der letzte amtierende Gaugraf. 1937 war die Auszehrung
so weit fortgeschritten, daß wir uns sozusagen von selbst auflösten,
ohne daß mir dazu ein besonderer Akt erinnerlich ist. Wie überhaupt der Osten sich durch eine ganz selbstverständliche Ordnung und Sicherheit auszeichnete. Ich war dreizehn Jahre alt, als ich mich mit dem Fahrrad zu einer Reise quer durch Ostpreußen aufmachte. Mein Ziel war Nidden, das schöne Fischerdorf in der Kurischen Nehrung hinter der litauischen Grenze. Nidden war damals bekannt durch Alfred Karraschs Roman 'Winke bunter Wimpel' und eine berühmte Ballade der ostpreußischen Dichterin Agnes Miegel, die auch bei uns trotz ihrer Sympathie für die Nazis hohes Ansehen genoß. Eine größere Rast machte ich in Wormditt, wo Verwandte meiner Mutter einen großen Bauernhof, fast ein Gut, mit einem ansehnlichen Herrenhaus bewohnten. Aber nicht nur dort, sondern überall, wo ich um Nachtquartier nachsuchte, wurde ich herzlich aufgenommen, bewirtet und mußte von mir und meinem Herkommen erzählen. Gäste waren in dem dünnbesiedelten Land eine schöne Abwechslung, und ich habe öfters in Betten als im Stroh geschlafen. Auf der Kurischen Nehrung reichte die Kasse zwar nur noch für Trockenbrot, doch fand ich dort Erdbeeren und Himbeeren in solcher Fülle, daß ich immer satt wurde. Als ich mich einmal vom Pflücken aufrichtete, stand wenige Meter vor mir ein riesiger Elch mit königlichem Geweih und beäugte mich interessiert. Ich erschrak doch ein wenig und hielt Ausschau nach einem Baum, auf den ich mich retten könnte. Doch der Elch wandte sich gleichgültig wieder ab und trollte gemächlich davon. Später kreuzte noch eine ganze Elchfamilie meinen Weg, und ich fuhr zufrieden wieder nach Zoppot zurück. Meine Eltern hatten sich keinen Augenblick Sorgen gemacht. |
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