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Wenige Tage später schrieb mir meine
Mutter, daß mein Vater von der SS festgenommen und in das Konzentrationslager
Stutthof überführt worden sei. Ganz ungeschoren war meine Familie
schon vorher nicht mehr geblieben. Ich war gerade im Urlaub, als eines morgens
zwei brutal aussehende SS-Männer in schweren Ledermänteln in unser
Haus eindrangen und es durchsuchten. Sie zeigten keinen Durchsuchungsbefehl
vor. Wir haben auch nicht danach gefragt; daß hier Recht oder Rechtmäßigkeit
keine Rolle spielten, war nur allzu deutlich spürbar. Meine Offiziersuniform,
in die ich schnell geschlüpft war, beeindruckte sie überhaupt nicht.
Kaum waren sie, offensichtlich ergebnislos, abgezogen, riefen wir alle Bekannten
an, Nazis waren ohnedies nicht darunter, um sie auf den zu erwartenden Besuch
vorzubereiten.
Man hatte meinen Vater und einige andere
gezwungen, hinter dem Fahrzeug, das für ihren Abtransport gedacht war,
herzulaufen. So ging mein Vater nun als Gefangener durch die Straßen
seiner Stadt. Es war aber so, daß sehr viele Danziger Bürger
sein markantes Gesicht mit dem Läppchen über dem rechten Auge
noch nicht vergessen hatten. Und was als Schande gedacht war, drohte sich
gegen die Schergen zu richten. So wurden die Gefangenen schnell wieder ins
Auto verladen.
Am nächsten Tag meldete ich mich
beim Batallionskommandeur, nahm Haltung an und sagte mit vor Empörung
etwas wankender Stimme, daß mein Vater ins KZ gekommen wäre und
es deutschen Soldaten nicht zugemutet werden könnte, von einem Offizier
befehligt zu werden, dessen Vater im KZ sei. Ich wolle ihm deshalb mein
Portepee
zurückgeben. Der Major sprang auf, versuchte mich zu beruhigen und von
meinem Plan abzubringen. Er schlug vor, sich sofort schriftlich an den Danziger
Gauleiter zu wenden, um die Gründe für die Festnahme meines Vaters
zu erfahren und ihn darüber zu informieren, daß beide Söhne
Offiziere seien. So viel ich weiß, verhielt sich mein Bruder Klaus,
der damals an der Nordfront einen Hauptverbandsplatz betreute, ähnlich.
Tatsächlich wurde mein Vater etwa sechs Wochen später wieder entlassen.
Ob wegen unserer Intervention oder aus anderen Einsichten, bleibt ungeklärt.
Mein Vater hatte während seiner Dienstzeit
mit dem Leipziger Oberbürgermeister Goerdeler, einem der Hauptverschwörer des 20. Juli,
berufliche Kontakte. Vermutlich hat das als hysterische Überreaktion
der Sicherheitspolizei zu seiner Festnahme geführt. Also auch hier
keine Heldentaten zu vermelden. Vater hat über seinen KZ-Aufenthalt
nie gesprochen. Das war ihm wohl auch unter Androhung schwerster Repressalien
verboten worden. Warum hat er jedoch nach dem Untergang des Naziregimes
nichts erzählt? Warum habe ich ihn nicht darüber befragt? Mein
Vater ist nach dem Einmarsch der Russen und Polen in Danzig noch einige
Monate in Zoppot verblieben. Man hat ihn aus unserem Haus geworfen und ihm
mein kleines Zimmer zugewiesen. Sonst hat man ihn verschont. Er muß
aber Grauenhaftes mitangesehen haben. Auch darüber nur vage Andeutungen.
Schließlich wurde er mit ehemaligen Kommunisten nach Berlin abgeschoben.
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