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1927 wurde mein Vater Stadtbaurat in Breslau. Wir wohnten dort
in einer großen Etagenwohnung. Unter uns lebte eine jüdische Familie,
mit deren etwa gleichaltrigem Sohn ich manchmal spielte. Eines Tages nahm
er mich in die elterliche Wohnung mit, wo gerade ein jüdisches Fest
gefeiert wurde. Auf einem Stuhl an der Wand sitzend betrachtete ich mit großen
Augen, was sich dort abspielte: Die Gebete und Gesänge des würdigen
Vaters, der ein Käppchen auf dem Kopf trug und in ein dunkles Gewand
gehüllt war. Das Kerzenlicht, das wir nur zu Weihnachten kannten, die
ganze heilig-fromme Atmosphäre hat sich mir tief eingeprägt.
Eine Begegnung ganz anderer Art schildert
meine Mutter in ihrer Chronik so: 'Anschließend an große Manöver
in Schlesien kam Generalfeldmarschall von Hindenburg auch nach Breslau.
Im Fürstensaal des wunderschönen Rathauses fand eine Feierstunde
statt. Anschließend wurde ihm der Magistrat mit seinen Damen vorgestellt.
Als er Hugo auf seine Verwundung hin ansprach und auch für mich einige
freundliche Worte fand, war ich von seiner Erscheinung tief angerührt.
Es wird mir ein unvergeßlicher Augenblick sein.'
Doch schon im Dezember 1928, ich war gerade
acht Jahre alt geworden, wurde mein Vater als Senator für das Bau- und Wirtschaftswesen
in die Regierung des Freistaates Danzig berufen.
Diese steile berufliche Karriere innerhalb
von knapp zehn Jahren verdankt mein Vater neben seiner Tüchtigkeit gerade
seinem katholischen Glauben und der damit verbundenen selbstverständlichen
Zugehörigkeit zur Zentrumspartei. Sie war eine politische Kraft, ohne die
weder in Deutschland, noch in Danzig eine parlamentarische Mehrheit zustandekommen
konnte. In Danzig wurde sie immerhin regelmäßig von 15% der Bevölkerung
gewählt und ihre Vertreter haben bis zum Beginn der Machtübernahme
jedem Danziger Senat angehört. Als Vater den Posten antrat, regierte
in Danzig eine Mitte-Links-Koalition aus Sozialdemokraten, Sozialliberalen
und Zentrum.
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