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14
Obwohl ich bald, außer den Juden, als einziger Schüler nicht der HJ angehörte, habe ich mich sonst von keinem Lehrer oder Mitschüler ausgegrenzt gefühlt. Ich war ein guter Leichtathlet, im Hundertmeterlauf immer Schulbester, darum bei Wettkämpfen sehr gefragt. Mit Studienrat Pischke, 'Papa Pi' genannt, unserem Lateinlehrer pflegte ich nach der Schule ein fast freundschaftliches Verhältnis. Wir hatten beide Spaß am Theaterspielen, gestalteten gemeinsam bunte Abende oder zogen mit Kasperltheater durch die katholischen Gemeindehäuser. Manchmal sagte er mir: "Schick mir bloß nicht deine Eltern in die Schule, damit ich ihnen nicht erzählen muß, was für ein Faulpelz du bist". Katholischen Religionsunterricht gab Kaplan Wiese, einer unserer Gemeindeseelsorger. Der Unterricht war stumpfsinnig auf das Lernen von Katechismussätzen ausgerichtet. Gott sei Dank hatte er zahlreiche andere Verpflichtungen, so daß sein Unterricht häufig ausfiel. Viele von uns wechselten dann freiwillig zum evangelischen Unterricht über. Diesen gab nämlich der allseits beliebte Studienrat Schröder, der stets in Joppe, Bridges-Hosen und Stiefeln herumlief und deswegen 'Frontgeist' geheißen wurde. Schröder gab einen Unterricht, der ganz auf die Probleme der damaligen Zeit und auf die Schüler selbst ausgerichtet war und sorgte in aller Stille dafür, das auch der strammste HJ-Führer das Denken und Mitfühlen nicht ganz verlernte. In der neuen Klasse änderte sich auch das Lehrerensemble. SS-Sturmführer Gall gab nun außer Französisch auch Deutsch. Da konnte ich glänzen und auch sachlich opponieren. Ich entsinne mich an eine Faust-Deutung, in der der gute Gall sich allzusehr auf das Streben des germanischen Menschen nach Vollendung beschränkte. Das paßte mir nicht, ich meldete mich zu einem ergänzenden Referat, in dem ich den Faust aus Goethes Leben zu interpretieren suchte. Wenn Englisch direkt auf die Deutschstunde folgte und wir keine rechte Lust dazu hatten, mußte ich bei Stundenbeginn durch eine provozierende Frage oder Feststellung zum Stoff der Deutschstunde Gall in eine Diskussion verwickeln. Er fiel fast immer darauf herein. Die Geschichte übernahm Oberstudienrat
Thimm, von den Schülern 'Wotan' genannt, weil er im Weltkrieg ein
Auge verloren hatte. Er war ein Nazi der ersten Stunde. Wir Schüler
behaupteten, er wäre Blutordensträger, also ein Parteigenosse,
der den Marsch zur Feldherrenhalle 1923 mitgemacht habe. Sicher
ist, daß er Träger des goldenen Parteiabzeichens war. Er traute
dem Führer eine geradezu magische Willenskraft zu. So behauptete
er, dieser könne ein schwingendes Pendel allein durch seinen Willen
an jeder Stelle zum Stillstand bringen. Daß so ein alter Kämpfer
es nur zum Oberstudienrat gebracht hatte, ließ vermuten, daß
er ein zu anständiger Kerl war, um Karriere zu machen. Das hat sich
für mich auch bestätigt. Ich war für Auseinandersetzungen
geschult durch die politischen Gespräche in meinem Elternhaus und durch
großes Interesse für Geschichte. Ich las damals viele geschichtliche
Romane, aber auch die 'Kulturgeschichte der Neuzeit' von Friedell oder die 1936 erschienene 'Kritische Weltgeschichte'
von Alphons Nobel. So war ich häufig in der Lage, dem Geschichtsbild
der Nazis kritisch etwas entgegen zu setzen. Es kam zu teilweise lebhaften
Auseinandersetzungen, manchmal auch zu barschen Zurechtweisungen, doch
behielt ich auch bei ihm meine Eins in Geschichte. In der neuen Untersekunda lernte ich Hannes Ewald kennen. Wir saßen, nur durch einen Gang getrennt, nebeneinander und waren uns anfangs von Herzen zuwider. Sticheleien gingen hin und her; er war wohl der bessere Stichler; jedenfalls trieb er es soweit, daß ich in der Lateinstunde wutentbrannt meinen Stuhl ergriff und damit zum Gaudium der Klasse auf ihn losging. Studienrat Pischke, 'Papa Pi', erstarrte zur Salzsäule. Das war ihm offensichtlich noch nicht vorgekommen. Der Stuhl war schon auseinandergegangen, als er uns trennte. Beide bekamen wir einen Verweis und das Gebot, den Stuhl schnellstens zu reparieren. Über dieser Aufgabe wurden wir zu Freunden und waren fortan fast unzertrennlich. Er trat den Neudeutschen bei, denen übrigens indessen auch mein Bruder Wolfgang angehörte. Hannes kam aus einfachen Verhältnissen. Den Vater, der Kellner gewesen sein soll, habe ich möglicherweise nie kennengelernt. Die Mutter kam aus der Kaschubei, war rund, deftig und sehr herzlich. Wer sich ein Bild von ihrem Wesen machen will, findet es, wenn er das erste Kapitel der 'Blechtrommel' aufschlägt und dort der Großmutter Anna Bronski begegnet. Unsere Mütter waren für den jeweils anderen vorzügliche Ergänzungen. Hannes zog es zu meiner Mutter, mit der er sich über geistige Themen unterhalten konnte und die sich ein bißchen um seinen 'Schliff' bemühte. Mich zog es umgekehrt zur Mutter Ewald und zur urgemütlichen Atmosphäre in dieser Wohnung. Wir Freunde wurden uns als Gesprächspartner ungeheuer wichtig. Unsere Gespräche fanden nie ein Ende. Immer wieder begleiteten wir uns gegenseitig nach Hause, machten dort kehrt und gingen wieder zum anderen zurück, wobei wir alle Welträtsel besprachen. Uns einte besonders unsere Ablehnung der Nazi-Ideologie, worin wir uns nun in der Klasse gegenseitig stützen konnten. Die Freundschaft hat sich mit Unterbrechungen bis heute erhalten. |
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