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1933 trug unser damaliger Klassenlehrer Oberstudienrat Klessing, genannt 'Der Rohe', weil er sich nicht entblödete, noch Quartaner gelegentlich zu verprügeln, das Parteiabzeichen. Er war meiner Erinnerung nach der einzige Lehrer, der meinen beiden jüdischen Mitschülern deutlich zu verstehen gab, daß sie dankbar sein müßten, noch in der Schule geduldet zu werden und der seiner antisemitischen Gesinnung auch in ihrer Anwesenheit freien Lauf ließ. Unser Französischlehrer, Studienrat Gall, erschien zu besonderen Anlässen von nun an in der Uniform eines SS-Sturmführers. Doch waren durchaus nicht alle Lehrer Nazis. Oberstudiendirektor Reinecke, mit Spitznamen 'Hundefutter', weil er sehr mager war, dürfte konservativ, aber sicher kein Nazi gewesen sein. Bei einer Sonnenwendfeier auf dem Schulhof 1933 stimmte er nur sehr zögernd zu, als ältere Schüler ihn baten, nach dem Deutschlandlied das Horst-Wessel-Lied anstimmen zu dürfen. Neben Klessing war ein Oberlehrer, dessen Namen ich vergessen habe, ein sehr unangenehmer Nazi. Er war Leiter des Schulorchesters, in dem ich bisher sogar die erste Geige schlecht und recht vertreten hatte. Er schloß mich 1934 aus, weil ich nicht bereit war, in die HJ einzutreten. Eine Maßnahme, die mich kränkte. Dann dachte ich, 'jetzt erst recht nicht'.

Obwohl ich bald, außer den Juden, als einziger Schüler nicht der HJ angehörte, habe ich mich sonst von keinem Lehrer oder Mitschüler ausgegrenzt gefühlt. Ich war ein guter Leichtathlet, im Hundertmeterlauf immer Schulbester, darum bei Wettkämpfen sehr gefragt. Mit Studienrat Pischke, 'Papa Pi' genannt, unserem Lateinlehrer pflegte ich nach der Schule ein fast freundschaftliches Verhältnis. Wir hatten beide Spaß am Theaterspielen, gestalteten gemeinsam bunte Abende oder zogen mit Kasperltheater durch die katholischen Gemeindehäuser. Manchmal sagte er mir: "Schick mir bloß nicht deine Eltern in die Schule, damit ich ihnen nicht erzählen muß, was für ein Faulpelz du bist". Katholischen Religionsunterricht gab Kaplan Wiese, einer unserer Gemeindeseelsorger. Der Unterricht war stumpfsinnig auf das Lernen von Katechismussätzen ausgerichtet. Gott sei Dank hatte er zahlreiche andere Verpflichtungen, so daß sein Unterricht häufig ausfiel. Viele von uns wechselten dann freiwillig zum evangelischen Unterricht über. Diesen gab nämlich der allseits beliebte Studienrat Schröder, der stets in Joppe, Bridges-Hosen und Stiefeln herumlief und deswegen 'Frontgeist' geheißen wurde. Schröder gab einen Unterricht, der ganz auf die Probleme der damaligen Zeit und auf die Schüler selbst ausgerichtet war und sorgte in aller Stille dafür, das auch der strammste HJ-Führer das Denken und Mitfühlen nicht ganz verlernte.

In der neuen Klasse änderte sich auch das Lehrerensemble. SS-Sturmführer Gall gab nun außer Französisch auch Deutsch. Da konnte ich glänzen und auch sachlich opponieren. Ich entsinne mich an eine Faust-Deutung, in der der gute Gall sich allzusehr auf das Streben des germanischen Menschen nach Vollendung beschränkte. Das paßte mir nicht, ich meldete mich zu einem ergänzenden Referat, in dem ich den Faust aus Goethes Leben zu interpretieren suchte. Wenn Englisch direkt auf die Deutschstunde folgte und wir keine rechte Lust dazu hatten, mußte ich bei Stundenbeginn durch eine provozierende Frage oder Feststellung zum Stoff der Deutschstunde Gall in eine Diskussion verwickeln. Er fiel fast immer darauf herein.

Die Geschichte übernahm Oberstudienrat Thimm, von den Schülern 'Wotan' genannt, weil er im Weltkrieg ein Auge verloren hatte. Er war ein  Nazi der ersten Stunde. Wir Schüler behaupteten, er wäre Blutordensträger, also ein Parteigenosse, der den Marsch zur Feldherrenhalle 1923 mitgemacht habe. Sicher ist, daß er Träger des goldenen Parteiabzeichens war. Er traute dem Führer eine geradezu magische Willenskraft zu. So behauptete er, dieser könne ein schwingendes Pendel allein durch seinen Willen an jeder Stelle zum Stillstand bringen. Daß so ein alter Kämpfer es nur zum Oberstudienrat gebracht hatte, ließ vermuten, daß er ein zu anständiger Kerl war, um Karriere zu machen. Das hat sich für mich auch bestätigt. Ich war für Auseinandersetzungen geschult durch die politischen Gespräche in meinem Elternhaus und durch großes Interesse für Geschichte. Ich las damals viele geschichtliche Romane, aber auch die 'Kulturgeschichte der Neuzeit' von Friedell oder die 1936 erschienene 'Kritische Weltgeschichte' von Alphons Nobel. So war ich häufig in der Lage, dem Geschichtsbild der Nazis kritisch etwas entgegen zu setzen. Es kam zu teilweise lebhaften Auseinandersetzungen, manchmal auch zu barschen Zurechtweisungen, doch behielt ich auch bei ihm meine Eins in Geschichte.

Das größte Problem war für mich Studienrat Bartsch, der bei uns Mathematik, Physik und zeitweise auch Chemie unterrichtete. Mein Schicksal lag sozusagen in seiner Hand und er hatte aus unerfindlichen Gründen etwas gegen die Althoffs. Er hatte schon meinen Bruder Wolfgang nicht gemocht und ihm Schwierigkeiten bereitet. Der war jedoch als zukünftiger Chirurg naturwissenschaftlich interessiert, während Herr Bartsch keine Schwierigkeiten hatte, mich als ziemlichen Ignoranten vorzuführen. Auf Obersekunda hatten wir einen erstklassigen Pädagogen in Mathematik, bei dem ich plötzlich fast alles verstand; Herr Bartsch war da weniger begnadet. Wie auch immer. Paul Bartsch stand zwischen mir und der Aussicht, durchs Abitur zu kommen. Als in Unterprima ein viertägiger Klassenausflug geplant wurde, der entlang der frischen Nehrung führen sollte, machte ich die Klasse mit meinem Plan bekannt, mich in dieser Zeit fast ausschließlich auf die Person Bartschs zu konzentrieren. Das wurde verstanden und gebilligt. Ich wich in diesen Tagen kaum von seiner Seite. Ich erfuhr viel von seinen, er noch mehr von meinen Ansichten. Er wagte es sogar, mir seine Abneigung gegen den Nationalsozialismus zu offenbaren. Nach diesen vier Tagen waren wir ein Herz und eine Seele. Nun kam ich nur dran, wenn ich mich ausnahmsweise meldete. Meine Arbeiten wurden unter dem Gesichtspunkt der Milde korrigiert. Seine Zuneigung hat sich in einer auch für ihn gefährlichen Situation bewährt, von der noch zu berichten sein wird.

In der neuen Untersekunda lernte ich Hannes Ewald kennen. Wir saßen, nur durch einen Gang getrennt, nebeneinander und waren uns anfangs von Herzen zuwider. Sticheleien gingen hin und her; er war wohl der bessere Stichler; jedenfalls trieb er es soweit, daß ich in der Lateinstunde wutentbrannt meinen Stuhl ergriff und damit zum Gaudium der Klasse auf ihn losging. Studienrat Pischke, 'Papa Pi', erstarrte zur Salzsäule. Das war ihm offensichtlich noch nicht vorgekommen. Der Stuhl war schon auseinandergegangen, als er uns trennte. Beide bekamen wir einen Verweis und das Gebot, den Stuhl schnellstens zu reparieren. Über dieser Aufgabe wurden wir zu Freunden und waren fortan fast unzertrennlich. Er trat den Neudeutschen bei, denen übrigens indessen auch mein Bruder Wolfgang angehörte. Hannes kam aus einfachen Verhältnissen. Den Vater, der Kellner gewesen sein soll, habe ich möglicherweise nie kennengelernt. Die Mutter kam aus der Kaschubei, war rund, deftig und sehr herzlich. Wer sich ein Bild von ihrem Wesen machen will, findet es, wenn er das erste Kapitel der 'Blechtrommel' aufschlägt und dort der Großmutter Anna Bronski begegnet. Unsere Mütter waren für den jeweils anderen vorzügliche Ergänzungen. Hannes zog es zu meiner Mutter, mit der er sich über geistige Themen unterhalten konnte und die sich ein bißchen um seinen 'Schliff' bemühte. Mich zog es umgekehrt zur Mutter Ewald und zur urgemütlichen Atmosphäre in dieser Wohnung.

Wir Freunde wurden uns als Gesprächspartner ungeheuer wichtig. Unsere Gespräche fanden nie ein Ende. Immer wieder begleiteten wir uns gegenseitig nach Hause, machten dort kehrt und gingen wieder zum anderen zurück, wobei wir alle Welträtsel besprachen. Uns einte besonders unsere Ablehnung der Nazi-Ideologie, worin wir uns nun in der Klasse gegenseitig stützen konnten. Die Freundschaft hat sich mit Unterbrechungen bis heute erhalten.

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Last Update: 24.02.2005