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Indessen hatte ich eine kleine Wohnung in Jena organisieren können und holte Frau und Kind zu mir. Anfang 1945 wurden wir auch dort ausgebombt und ich schaffte die Meinen nach Reit im Winkl, wo sie bei Freunden meiner Mutter Unterschlupf finden konnten. Auf der Fahrt dorthin wurde unser Zug von Tieffliegern beschossen. Meine hochschwangere Frau und ich mit dem Söhnchen auf dem Arm rannten um unser Leben, bis wir hinter einem Erdhügel Deckung fanden.

Ich mußte gleich wieder zurück, denn ich war indessen in ein Speziallazarett für plastische Chirurgie bei Potsdam verlegt worden. Leitender Arzt: Generalarzt Professor Schuchardt, ehemals Assistent von Professor Lexner, der nach dem ersten Weltkrieg das Gesicht meines Vaters geflickt hatte. Die Patienten, eine Ansammlung von Gesichtern, wie sie ein Horrorfilm nicht grausiger hätte malen können.

In unserem Zimmer lag auch ein Hauptmann, der sich als nationalsozialistischer Führungsoffizier zu erkennen gab. Befragt, was er tun würde, wenn Deutschland nach dem verlorenen Krieg besetzt sei, meinte er, er würde sich dann in ein KZ als Verfolgter einweisen lassen, dort ein kleines Zimmer mit einem Blumentopf auf dem Fensterbrett bewohnen und auf die Befreier warten. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß selbst dieser Mann nicht in der Lage war, sich ein KZ anders als in dieser pervers idyllischen Form vorzustellen.

Die Russen standen schon an der Oder, als wir aufgefordert wurden, das Zuchthaus in Brandenburg zu besichtigen. Der Leiter des Zuchthauses zeigte uns stolz den Raum mit den Haken, an denen man die Verschwörer des 20. Juli aufgehängt hatte und zwar 'so behutsam', daß sie noch einige Zeit Todesqualen ertragen mußten. Wir wurden dann durch die Werkhallen geführt, wo die Gefangenen weiter für die Rüstung arbeiteten. Ich hielt nach dem Pfarrer Schmidt, der uns getraut hatte und von dem ich wußte, daß er dort inhaftiert war, Ausschau, konnte ihn jedoch nicht entdecken.

Ende April teilte mir Professor Schuchard mit, er müsse mich als geheilt entlassen. Man suche Offiziere als Führer für Volkssturmeinheiten. Der Volkssturm war ein letztes Aufgebot alter Männer und halbwüchsiger Jungen, die man notdürftig bewaffnet an die Front gegen die Russen schicken wollte, die Berlin bereits erobert hatten. Ein sicheres Todeskommando. Ich meinte, wir beide wüßten doch, daß der Krieg in wenigen Tagen zu Ende sei und ob das einen Sinn habe, seine so mühevolle und so meisterhaft gelungene Arbeit sinnlos wieder zerstören zu lassen. Das sah er Gott sei Dank ein und wenige Tage später konnte ich mich bei der Organisation der Flucht des ganzen Lazaretts nützlich machen.

Wir gelangten nach Schleswig-Holstein, wo wir großräumig interniert wurden. Eine wichtige Beschäftigung der Offiziere bestand darin, aus ihren Kriegsauszeichnungen das Hakenkreuz herauszukratzen. Ich habe meine bescheidenen Orden ins Meer versenkt. Ende Juli wurde ich aus der Gefangenschaft entlassen und fuhr in einem Güterzug Richtung Oberbayern. Eines Abends erreichten wir den Würzburger Bahnhof. Es sollte erst am nächsten Morgen weitergehen. Ich ging in die Stadt, die nur noch aus Brandruinen bestand. Bildete ich es mir ein, oder lag über allem noch der Geruch von verbranntem Fleisch? Ich ging zum Waggon zurück, legte mich auf meinen Strohsack und heulte vor mich hin. Es war zu Ende.

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Last Update: 24.02.2005