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11
Mit meinem ersten Freund Goldberg, den Vornamen habe ich vergessen - er wohnte gleich um die Ecke in der Schäferstraße - spielte ich Trapper und Indianer, wobei wir uns kämpfend vom Rand eines Hügels in eine Kiesgrube hinunterstürzten, dreißig Meter den weichen Sand herunterrollten und anschließend in dem kleinen Grundwassersee badeten. Ein Anziehungspunkt war der Schidlitzkegel, ein Hügel, der in Bayern wahrscheinlich nicht einmal als Idiotenhügel akzeptiert worden wäre, jedoch als einziges einigermaßen geeignetes Gelände von uns Kindern zum Schlitten- und Skifahren genutzt wurde. An ihn grenzte oberhalb ein Jungwald aus etwa vier bis fünf Meter hohen Buchen, mit einem Hochstand, den wir beide als unseren Stammsitz betrachteten. Von dort konnte man den Wipfel einer jungen Buche erfassen und sich dann von einem Wipfel zum anderen schwingen. Das war spannend und nicht ganz ungefährlich. Tatsächlich ist Freund Goldberg einmal abgestürzt, wobei er sich eine Gehirnerschütterung und einen Armbruch zuzog. Ich mußte ihn damals, durch sein wirres Sprechen verängstigt, nach Hause bringen. Die erschreckte Mutter vergaß ganz, mich als Mitschuldigen zu schelten. Auf einer Lichtung stand ein großes Zelt, in dem reges Leben herrschte. Schnell zogen wir alle Heringe heraus, und bis die verblüfften Jungen sich aus dem zusammengebrochenen Zelt befreien konnten, hatten wir schon einen guten Vorsprung und erreichten noch gerade zur rechten Zeit unseren Hochsitz. Die anderen konnten zwar nicht herauf, doch wir auch nicht hinunter. Da die Belagerer nicht aufgaben, aber es langsam dunkel wurde, mußten wir wohl oder übel in Friedensverhandlungen eintreten. Das Ergebnis war mein Versprechen, der Gruppe beizutreten. Da das Signum auf dem Wimpel ein Malteserkreuz darstellte, wird es sich wohl um eine Gruppe des 'Jungdeutschen Ordens' gehandelt haben, einer antidemokratischen, nationalistischen, sozialromantischen Bewegung. Meine Mitgliedschaft war kurz. An einem der nächsten Wochenenden nahm ich an einem Sportfest teil, muß im Laufen und Springen in meiner Altersklasse gesiegt haben; jedenfalls stand mein Name in der folgenden Woche im Sportteil der Olivaer Zeitung. So müssen meine Eltern davon erfahren haben. Mein Vater setzte sich eines Abends an mein Bett und redete mir die Sache wieder aus. Die politische Richtung hat ihm wohl gar nicht gepaßt. Die Freundschaft mit Goldberg ging 1933 zu Ende. Seine Eltern erklärten mir nicht ohne Verlegenheit, daß sie als überzeugte Nationalsozialisten auf den Verkehr ihres Sohnes mit dem Sohn eines Gegners dieser Bewegung keinen Wert legten. Andere Erinnerung, Inseln im Meer des Vergessens: erste Liebe mit zwölf. Ursel hieß sie, Tochter eines mit den Eltern befreundeten Zahnarztes. Wir beide so schüchtern, daß die Eltern uns nach der Messe aufforderten, uns doch wenigstens mal die Hand zu geben. Die Liebe dauerte bis zur Tanzstunde. Eine recht verklemmte Geschichte, über welche meine Kinder heute nur lachen würden, die ich dennoch nicht vermissen möchte. Verklemmte Erotik auch mit Nachbarskindern, hilflose Ersatzhandlungen in unaufgeklärter Vorpubertät. Eigentümliche Freundschaft mit einem Nachbarssohn, schon Student, der mir gelegentlich bei Hausaufgaben half. Er forderte mich öfters zum Spazierengehen auf. Im Wald wollte er dann immer mit mir raufen. Ich habe gerne mitgemacht, mich jedoch im Stillen darüber gewundert, was ein Erwachsener daran finden könnte, mit mir Ringkämpfe zu führen. Hatte ich doch von dem, worauf es ihm angekommen sein mag, keine Vorstellung, geschweige denn ein Beziehung dazu. Homosexuelle Kinderverführung? Nicht daß ich wüßte. 1939 hat er sich erschossen. Übertreibt meine Erinnerung, wie unwissend ich in allen sexuellen Dingen damals gewesen bin? Meine Mutter hat sie mir viele Jahre später indirekt bestätigt. Wir hatten sie gebeten, einige Stunden auf unseren damals vierjährigen Jüngsten aufzupassen. Als dieser nackt, den Penis stolz in der Hand, im Zimmer herumhüpfte und psch-psch machte, reagierte meine Mutter verstört. Schließlich forderte sie ihn auf, den Pimmel wieder loszulassen. Dem verblüfft sie anstarrenden Kind erklärte sie, da kämen sonst kleine Würmer heraus. Das Elternhaus schenkte uns Geborgenheit und Anregung. Ich durfte früh bei Gesellschaften dabeisein, mich gelegentlich auch als Page nützlich machen, ich lernte interessante Leute kennen, den Völkerbundskommissar Graf Gravina, den Bischof O'Rourke, einen feinen, sensiblen humorvollen Mann. Einmal waren die beiden zusammen eingeladen. Beide beherrschten sie acht Sprachen wie ihre Muttersprache und wechselten im Gespräch von einer zur anderen. Natürlich war auch viel von Politik die Rede. Ich erinnere mich an ein Gespräch, in dem Vater mir die Danziger Regierungsform erklärte. Irgendwoher hatte ich gehört, daß im Danziger Volkstag nur alte Männer säßen. Vaters Einwurf, der Jüngste sei immerhin erst 32 Jahre alt, hat den Zwölfjährigen kaum überzeugt. Was ich nicht wußte: auch in Danzig war die Volksvertretung längst entmachtet. Die Mitte-Links-Regierung unter Sahm war indessen einer Mitte-Rechts-Regierung gewichen, die, wie im Reich, mit Notverordnungen regierte. Zudem war sie eine Minderheitsregierung, abhängig von der von Hitler befohlenen Toleranz der Naziabgeordneten. Präsident Sahm, den mein Vater sehr schätzte, wurde von Führer der Deutschnationalen Partei Ziehm abgelöst. Er und Vater haben sich nicht sonderlich geschätzt. Vater hatte wohl gehofft, Vize-Präsident zu werden, doch zog Ziehm ihm den Juristen, der nun schon Wierz-Kaiser und bald darauf nur noch Kaiser hieß, vor. Von Ziehm jedoch stammt die einzige mir zugängliche Beschreibung der dienstlichen Persönlichkeit meines Vaters. In seinen Erinnerungen beschreibt er ihn als tüchtigen, ehrgeizigen Beamten und hervorragenden Redner, der auch komplizierte Sachverhalte verständlich darzustellen wußte. Weitere kleine Erinnerungsfetzen: Dicke Schlagzeilen im Danziger Vorposten, der Zeitung der Nazis: 'Schulgeldfreiheit für Senatorensöhne'. Anscheinend hatten meine Eltern, wie andere Bürger auch, von dem Recht Gebrauch gemacht, für den dritten Sohn kein Schulgeld zu zahlen. Eines Abends fanden wir drei nagelneue Fahrräder im Keller stehen. Am nächsten Tag Plakate auf allen Litfaßsäulen 'Gulden bleibt Gulden' - die bei Abwertungen übliche Beschwichtigung. Bescheidene Ausnutzung von Insiderwissen über die bevorstehende Guldenabwertung. |
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