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Vor mir liegen die beiden Lebensberichte
Klaus Manns. Er schreibt, daß er dieses Unternehmen
wage, "keineswegs weil ich gerade die Geschichte meiner Kindheit so auffallend
interessant finde, sondern einzig und allein, weil die Geschichte einer
Kindheit mir erzählenswert vorkommt, deren erste acht Jahre vor Ausbruch
des Weltkrieges lagen, so daß die Revolution uns zwölfjährig,
die Inflation sechzehn- und siebzehnjährig fand." Meine Kindheit begann
am Ende des ersten Weltkrieges,
meine Jugend zu Beginn der Nazizeit und meine Mannesjahre zu Beginn des
zweiten Weltkrieges.
So will ich versuchen, eine Kindheit und
Jugend zu beschreiben, die sich am Rande der bösen Zeiten bewegte,
durch die der Jugendliche jedoch gezwungen wurde, sich auseinanderzusetzen,
zu widerstehen, doch auch gleichzeitig zu liebäugeln; sich später
zum verabscheuten und früh als sinnlos-verbrecherisch erkannten
Kriege freiwillig zu melden.
Welche Kräfte wirkten da mit-
und gegeneinander. Ich muß an Erinnerungen zweier bedeutender Männer
meiner Generation denken, Richard von Weizsäcker und Helmut Schmidt. Die Jugend des einen war durch das Elternhaus
verhängnisvoll mit der Nazizeit verknotet, die des anderen spielte
sich ganz am Rande des Weltgeschehens ab. Meine lag irgendwo dazwischen.
Mein Vater, der Zentrumspolitiker Dr. Hugo Althoff war bedeutend genug,
um vor 1933 Wut und Haß der Nazis auf sich zu ziehen. Doch nach dem
Sturz der Regierung der freien Stadt Danzig, der er angehörte, ließen sie ihn weitgehend
in Ruhe, jedenfalls bis 1944. So wichtig war er ihnen auch wieder nicht.
Dennoch war er wieder zu bekannt, als daß meine Jugend nicht dadurch
stigmatisiert worden wäre. Als Sohn eines System-Zeit-Politikers
beäugte man mich argwöhnisch, und meine Bekehrung zum begeisterten
Hitlerjungen hätte man schon gerne gesehen.
Mein Bemühen um eine genaue
Darstellung wird erschwert, weil ich über keine Dokumente mehr verfüge.
Alles ist durch die Umstände der Umsiedlung und durch Bomben verlorengegangen.
Selbst mein Abiturzeugnis ist nicht mehr auffindbar. Das einzige persönliche
Dokument blieb ein Danziger Pass von 1935 mit dem Foto eines vierzehnjährigen
Jungen mit dicker Brille, Knollennase und struppigem Haar, dem man weiß
Gott nicht ansehen konnte, daß er mal als Schauspieler an einer Kleinstadtbühne
durchaus anziehend gewirkt haben muß. Doch ist eine Familienchronik
erhalten, 1916 vom Vater der Mutter begonnen und von dieser fortgeführt.
Die soll mir helfen, die Bilder, die mein Gedächtnis über
60 Jahre hinweg gespeichert hat, einigermaßen genau zeitlich einzuordnen.
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