|
D i e Z u k u n f t d e r E u r o p ä i s c h e n U n i o n
Das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten
An einer Flexibilisierung der europäischen Integration geht kein Weg mehr vorbei - doch die verstärkte Zusammenarbeit kann auch die europäische Idee verwässern
Andreas Menn
Stimmen in den westlichen EU-Staaten bezeichnen dies vermehrt als Gefährdung ihrer nationalen Prosperität und Stabilität. Sie fordern, die EU-Integration müsse in Zukunft flexibler gestaltet werden, damit fortgeschrittenere Staaten in einer Union der 27 ihre Dynamik nicht verlieren und auch die EU-Integration selber nicht zum Stillstand kommt. Den weiter fortgeschrittenen Staaten müsse die Option eröffnet werden, im kleinen Kreis voranzuschreiten. Damit erhielt die Dynamik innerhalb der Union einen größeren Spielraum, politische Entscheidungen verliefen schneller und damit effizienter. Den weniger weit entwickelten Staaten blieb die Option, dem Beispiel der "Kernstaaten" zu folgen, sobald ihre wirtschaftliche und politische Situation es zulässt.
Möglichkeiten der partiellen Intensivierung zwischenstaatlicher Kooperation sind schon mit dem Amsterdamer Vertrag (EU-V A; Titel VII) gegeben und auch im EG-Vertrag (Art. 11) festgeschrieben (1). Allerdings blieb diese Klausel mit deutlichen Einschränkungen versehen. (1)
Auf der Regierungskonferenz in Nizza 2000 wurden diese teilweise gelockert. Zwar gelten weiterhin gewisse Einschränkungen, etwa im Bereich des EG-Vertrags (1.Säule). Hier muss, wenn eine verstärkte Zusammenarbeit das Mitentscheidungsverfahren betrifft, die Zustimmung des EP gegeben sein. Andere Bereiche des EU-Vertragswerks sind dagegen für eine verstärkte Zusammenarbeit geöffnet worden, z.B. bestimmte Bereiche der GSZA. Acht Staaten reichen zukünftig aus, um eine verstärkte Zusammenarbeit zu begründen. Die Möglichkeit eines Veto ist aufgehoben, der Ministerrat kann eine Initiative nur mit qualifizierter Mehrheit stoppen.
Der Flexibilisierung stehen sowohl die Mitgliedsstaaten, das EP und die Kommission positiv gegenüber. Ausdrücklich vermerkt ist jedoch, dass sie nur als letztes Mittel zur Anwendung kommen solle.
Die Besorgnis ist groß, dass politische Entscheidungen verstärkt an der EU vorbei auf intergouvernementalen Ebene geschlossen werden könnten. Die EU droht zur schieren Attrappe zu degenerieren, die Gemeinschaft könnte verwässert werden.
So ist es bisher selten zu einer "verstärkten Zusammenarbeit" gekommen. Das bekannteste Beispiel ist wohl die Einführung des Euro (Wirtschafts- und Währungsunion, WWU).
Das Kalkül der Einführung des Euro liegt in seiner Überzeugungskraft. Eine erfolgreiche Währungsunion müsse die nicht beteiligten Staaten schon davon überzeugen, bald ebenfalls dem Bündnis beizutreten, so die Vorstellung. Auf diesem Weg könnten innovative Projekte auch noch in einer Union der 27 Mitgliedsstaaten verwirklicht werden, selbst wenn ein Dutzend von ihnen anfangs nicht den Sinn der Maßnahmen erkennt oder einfach nicht willens oder fähig ist, sie umzusetzen.
Gerade hier liegt aber die Gefahr der Flexibilisierung: Der starke Unterschied zwischen starken und schwachen Mitgliedsstaaten könnte durch einen Alleingang der "Elite" eine zunehmende Spaltung der Gemeinschaft herbeiführen. Kritiker sehen dies als den ersten Schritt zu einem Europa der Klassen, in dem die "zweite Liga" in den politischen Entscheidungen zum passiven Erdulder ("decision-taker") degradiert würde. Damit würde der Grundgedanke eines gemeinschaftlichen und toleranten Europas unterlaufen. Nicht nur ökonomisch bedeutete dies Unheil für Europa, denn die mittel- und osteuropäischen Staaten fielen nicht nur als Wirtschaftspartner, sondern auch als Partner für den Frieden weg. Das könnte langfristig Konsequenzen für die Stabilität des Kontinents haben.
Grundsätzlich ist jede Initiative zur Flexibilisierung der EU mit Vorsicht zu genießen. Innerhalb der Debatte driften die Vorschläge weit auseinander, was das Ausmaß und die Richtung der verstärkten Zusammenarbeit betrifft. Die einen sehen sie als Impulsgeber der Europäischen Integration, andere betrachten sie bewusst als Methode zur Resouveränisierung des Nationalstaats.
[ Teil 3: Brüssel als Symbol bürokratischer Verkrustung
>> Teil 5: Europa als Kosten-Nutzen-Rechnung?
[[ zur Übersicht
 
 
|
20.03.2001
Die Zukunft der EU
www.eu2001.se
|