Alexander Glasunow (1865 - 1936)
Groß war das Erstaunen des Petersburger Konzertpublikums, als sich am 29. März 1882 ein 16-jähriger Gymnasiast erhebt, um den Applaus der soeben gehörten 1. Symphonie entgegen zu nehmen. Das musikalische Wunderkind Alexander Glazunow wurde am 10. August 1865 in St. Petersburg in eine reiche Verleger- und Buchhändlerfamilie mit alter Tradition hineingeboren. Die Eltern waren kulturell sehr interessiert, beide musikalisch begabt und förderten die künstlerischen Neigungen des Sohnes, der zweifelsohne die Anlage zu künstlerischer Doppelbegabung in sich trug. Von Anfang an aber stand das musikalische Interesse vor dem zeichnerischen im Vordergrund. Bereits im Alter von elf Jahren begann Glazunow zu komponieren, genoss Unterricht in Klavier, Harmonie- und Formenlehre sowie Kontrapunkt. Kein Geringerer als Nikolai Rimski-Korsakow übernahm in privatem Rahmen die Schulung des Hochbegabten und führte ihn als vielbewundertes Mitglied in den Kreis des ‚Mächtigen Häufleins' um Cui, Balakirew, Borodin und Liadow ein. An der Pariser Weltausstellung 1889 dirigierte Glazunow - gerade 24-jährig - ein Konzertprogramm, das erstmals russische Musik in Westeuropa repräsentativ bekannt machte und eine breite Anerkennung seiner eigenen Kompositionen hervorrief. Glazunow galt als ‚der letzte Klassiker der russischen Musik' - in anderer Hinsicht war er ihr erster Klassizist, als den man ihn auch mit Brahms vergleicht. Von Mili Balakirew und Nikolai Rimski-Korsakow gefördert, setzte er Traditionen des Petersburger ‚Mächtigen Häufleins' fort; nicht ohne andererseits den Kontakt zum kosmopolitischen Moskauer Kreis um Tschaikowsky zu suchen und sich mit den westlichen Zeitgenossen der ‚neudeutschen Richtung' (Liszt und Wagner) auseinander zu setzen. Als Professor für Komposition und Spezialinstrumente wurde Glazunow 1899 ans Petersburger Konservatorium berufen. In den Wirren des Revolutionsjahres 1905 - als Studentenstreiks das Konservatorium erschütterten und Rimski-Korsakow seines Amtes enthoben wurde - ging auch er aus Protest. Schließlich aber sah man in ihm die geeignete Persönlichkeit, um zu vermitteln und die Wogen zu glätten: Als das Konservatorium Autonomiestatus erhielt, wurde er zum Rektor gewählt und blieb in diesem Amt bis zu seiner Emigration 1928. Bis zuletzt pädagogisch, schöpferisch und ehrenamtlich aktiv, starb der Glazunow am 21. März 1936 in Paris. In seinem vielseitigem, auf sicherer Satzkunst gründendem Schaffen offenbart sich die kosmopolitische Grundhaltung des Komponisten: Auf originäre Weise verbindet er echt russische Substanz mit feinster europäischer Musikkultur, slawische Melancholie mit weltbürgerlicher Lebensfreude. Die Qualität seiner musikalischen Gedanken haben Glazunow den Beinamen ‚Russischen Brahms' verschafft. Mit seinem Gefühl für farbig-leuchtende Instrumentation wurde er oft von anderen Komponisten um Hilfe ersucht. In genialer Weise rekonstruierte, orchestrierte und vollendete er Borodins ‚Fürst Igor', was ihm noch heute stete Präsenz in Spielplänen von Opernhäusern einbringt. Sein reiches kompositorisches Œuvre umfasst symphonische Musik in allen Formen, Werke für Soloinstrumente mit Orchester, Kammermusik, geistliche und weltliche Vokalmusik, Bühnenmusik sowie drei Ballette. |