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Die taubengrauen Schwestern ...

... Charlotte, Emily und Anne Brontë

Die Romane - Entstehungsgeschichten

Zu Hause schreibt Charlotte viele Briefe an Monsieur Héger, in denen sie immer leidenschaftlicher und verzweifelter wird. Er antwortet ihr nur selten, und wenn, sind die Briefe kühl und unpersönlich. Schließlich hört er auf zu schreiben. Charlotte schreibt ihm weiterhin, getrieben von dem Wunsch, seine Freundschaft zu ihr aufrecht zu erhalten. Mit den leisen Anklagen, weshalb er nicht mehr schriebe - sie wäre völlig glücklich, wenn sie wieder einen Brief von ihm erhielte. Doch bald begreift sie, daß da nichts ist und nichts sein wird zwischen ihnen. Während Charlotte in Brüssel war, hat Emily sich in den Haushalt vertieft. Sie ist zufrieden, wie sie lebt: Allein, doch nicht einsam - denn sie hat ihre Gedichte, ihre Phantasie. Und ihre Tiere: Keeper, ihren Hund, ihr treuester Begleiter, der immer in ihrer Nähe ist. Sie wandert täglich übers Moor, mit einem kleinen Schemel, auf den sie sich setzen und schreiben kann. Charlotte aber kann nicht mehr stillsitzen. Sie betrachtet Haworth als "einsamen, ruhigen Ort, verschüttet und von der übrigen Welt abgeschlossen".

Der Plan der Schule existiert jedoch nach wie vor. Doch finden sich, nachdem ein eigener Prospekt gedruckt ist, keine Interessenten - kein Wunder, denn die hohe, sturmoffene Lage und das ungesunde Klima lädt nicht gerade dazu ein, hierhin seine Töchter zu schicken. Charlottes Plan, unabhängig zu werden, ist gescheitert.

Die Schwestern haben jedoch noch eine andere Quelle, aus der man schöpfen könnte: Sie schreiben, und zwar täglich - es ist wie atmen für sie, selbstverständlich und natürlich. Und eines Tages im Herbst 1845 entdeckt Charlotte beim Aufräumen (oder hatte sie gezielt danach gesucht?) Emilys Gedichte, die ihre Seele offenbaren: wild und leidenschaftlich, unbezwingbar und sturmdurchtost. Als sie Emily darauf anspricht, ist diese verärgert. Doch Charlotte beschwört sie, die Gedichte zu veröffentlichen; sie seien außergewöhnlich. Anne gibt Charlotte leise zu verstehen, daß sie sich ja auch einmal ihre Verse ansehen könne - und schließlich einigen sich die Schwestern - Emily nach einigem Zähneknirschen - darauf, eine Auswahl ihrer Gedichte drucken zu lassen. Im Januar 1846 wird das Buch gedruckt, ganze zwei Exemplare werden verkauft. Doch die Schwestern lassen sich nicht entmutigen: Jede hat in der Zwischenzeit an einem Roman geschrieben. Nach der Vollendung von "Agnes Grey" von Anne, "Wuthering Heights" von Emily und "The Professor" von Charlotte werden die Manuskripte nacheinander an neun Verlage geschickt. Schließlich übernimmt T. C. Newby den Druck zu, er nimmt Annes und Emilys Romane. Charlotte hatte von Smith & Elder einen ermutigenden Brief bekommen: Zwar würden sie "The Professor" nicht drucken, doch sähen sie einem weiteren Werk von ihr gespannt und wohlwollend entgegen. "Jane Eyre" wird schließlich von diesem Verlag gedruckt. Alle drei Romane der Schwestern erscheinen unter Pseudonym; sie haben sich auf "Acton, Currer und Ellis Bell" geeinigt, Namen, die weder männlich noch definitiv weiblich klingen.

Emilys Buch erregt großes Aufsehen. Doch es erregt auch Unverständnis; der ganze Roman paßt so gar nicht in diese Zeit mit ihrer viktorianischen Verklemmtheit; die stürmischen Charaktere in "Wuthering Heights""(dt. "Sturmhöhe") können sich nicht den Menschen vermitteln. Ein Kritiker schreibt im Jahre 1857, der Roman gehöre ins "Schreckenskabinett des Romans". Dagegen schreibt Sydney Dobell 1850, das Buch sei "die mächtige Äußerung eines jungen Gottes". Emilys Roman zeigte die Abgründe der menschlichen Seele, eine dämonische Leidenschaft, womit die Viktorianer nichts anfangen können. Erst in unserer Zeit wurde der hohe dichterische Rang des Romans erkannt. Er ist von allen Brontë-Romanen der bedeutendste, verweist auf Parallelen zwischen Mensch und Natur, genauer gesagt Urkräfte, die dasselbe anzurichten vermögen wie die Kräfte im Innern des Menschen. Er ist kein Sittenbild, kein psychologisch raffinierter Familienroman, keine romantische Liebesgeschichte, dieser Roman, er ist eine fast mystische Auseinandersetzung mit den elementaren Naturvorgängen und den wilden Strudeln des menschlichen Inneren.

Jane Eyre, Charlottes Roman, wird sofort ein Bestseller. Thackeray persönlich lobt es in höchstem Maße; er habe es in einem Zuge durchgelesen (was bei 440 Seiten im englischen Original etwas verwunderlich erschient) und es sei "der erste englische Roman seit langer Zeit", den er "mit Vergnügen" gelesen habe. Charlotte hatte mit ihrem Thema "den Nerv ihrer Zeit getroffen" (Werner Waldmann). Jane Eyre wird als ein neues Frauenbild gesehen, dazu tragen auch die feministischen Tendenzen.

Annes Buch wird mit Wohlwollen aufgenommen, doch ist es weder ein Skandal wie "Sturmhöhe" noch ein großer Erfolg wie "Jane Eyre". Die einfache Geschichte einer Gouvernanten auf ihrem harten Weg, der dann schließlich doch - natürlich - in einer Heirat mit einem Geistlichen endet (mit wem sonst?) wäre heute sicherlich vergessen, wären die Schwestern der Verfasserin nicht so berühmt. Das Buch war die typische Lektüre jener Zeit für Frauen und andere Geschöpfe: leicht zu lesen, nicht besonders anspruchsvoll, gefällige Handlung und - schnell wieder vergessen. Doch ihr zweites Buch, "Die Herrin von Wildfell Hall", sollte völlig anders werden. Abgesehen von dem weit größeren Umfang, ist auch die Handlung wesentlich verstrickter und anspruchsvoller - und auch spannender. Für die Zeitgenossen ist es jedoch fast ein ähnlicher Skandal wie "Sturmhöhe". Ein Kritiker schreibt im Jahre 1849: "... es gibt dort Gespräche, von denen wir gehofft hatten, sie niemals in englischer Sprache gedruckt zu sehen." (James Loriner) Doch ein anderer, George Moore, schreibt später: "Hätte Anne Brontë zehn Jahre länger gelebt, stünde sie gleichrangig neben Jane Austen, vielleicht sogar höher..." (Hervorhebung von mir) Auf jeden Fall beachtet man das Buch. Denn hier wird die Moral der Viktorianischen Epoche heftig angeprangert, zudem die Gleichstellung der Frau in den Mittelpunkt gerückt.

Das Buch erscheint im Juni 1848. T. C. Newby schließt einen Vertrag mit einem amerikanischen Verlag, der ankündigt, das Buch sei von Currer Bell und überdies seien alle Bells dieselbe Person - also Currer. Nachdem Smith & Elder die Brontës davon benachrichtigen, reisen Anne und Charlotte nach London, um zu zeigen, daß sie Schwestern sind, drei, obwohl eine zu Hause ist, einsam, dichtend, resignierend.

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