Die taubengrauen Schwestern ...
... Charlotte, Emily und Anne Brontë
Das Leben der Brontës Drei Pfarrerstöchter im englischen Hochmoor Yorkshire, ein rauhes Klima, eine karge Landschaft, ein eintöniges Dasein - das bietet wenig Inspiration, sollte man meinen, für drei ambitionierte Schriftstellerinnen. Ihre Werke, sieben Romane, zahllose Gedichte, strafen diese These Lügen. Märchenhafte Phantasiewelten stehen am Anfang ihres Schaffens. Im kindlichen Geschichtenerzählen entdecken die drei Schwestern Charlotte, Emily und Anne ihre Passion für die Literatur und für das Schreiben, das sie fortträgt aus ihrem tristen Alltag. Viele Jahre lang verbringen sie ihre Abende mit gemeinsamen Debatten über Byron und Scott, über Geschichte und Geographie und über ihre eigenen Arbeiten. Bis schließlich ihre ersten drei Romane entstehen: "Der Professor", "Sturmhöhe" und "Agnes Grey" - ein Affront gegen die viktorianisch-prüde Gesellschaft. Da lodern Leidenschaften und Gewalt in schweigsamen finsteren Figuren, da wird die öde Gesellschaft durch bissige Kommentare und spitzfindige Charakterdarstellungen bloßgestellt, da verstört die Leser der einsame Weg einer klugen, aber mittellosen Gouvernante wider alle Konvention. Drei taubengraue Schwestern hat Arno Schmidt sie genannt - in der Langen Nacht sind sie drei Paradiesvögel, die die Nachwelt bis heute mit ihrem Werk verzaubern. Das Heidemoor im englischen Yorkshire: eine karge Landschaft, dürres Gestrüpp, das sich nur einmal im Jahr, im Spätsommer, in ein Meer blauer Blumen verwandelt; ein rauhes Klima, windig, feucht; eine abweisende Dorfgemeinschaft - das ist die Umgebung, in der in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts die Geschwister Brontë - Charlotte, Emiliy, Anne und ihr Bruder Branwell - aufwachsen. Der Vater ist Dorfpfarrer und obwohl er mit patriarchalischer Strenge die methodistischen Lehren vertritt, ist er kein schlechter Pädagoge. Er versteht es, den Wissensdurst der Kinder anzuregen. Seine Bibliothek beherbergt Bücher von Byron, Scott und Shakespeare, die von den isolierten Pfarrerskindern mit Fleiß und Neugier verschlugen werden und einen tiefen Eindruck bei ihnen hinterlassen. Auf dieser geistigen Grundlage werden ihre späteren Romane entstehen: Jane Eyre, Agnes Grey, Sturmhöhe, sind die ersten ihrer insgesamt sieben Bücher, die an die Öffentlichkeit gelangen. Heute gehören ihre Romane zu den Klassikern. Sie wurden vielfach verfilmt und adaptiert, und werden immer noch von der Literaturwissenschaft ausgelotet und interpretiert. Melodramatisch, ja kitschig fast sind die Geschichten von den unscheinbaren, aber klugen und integren Mädchen, die aus einem langen Kampf gegen die feindselige Umwelt schließlich siegreich hervorgehen und ihr Glück - das Eheglück zumeist - finden. Die große Liebe wird mit stürmischer Leidenschaft inszeniert, Gewalt und Wahnsinn, Naturkräfte und Übersinnliches werden zelebriert und einer oftmals satirisch überzeichneten, stumpfsinnigen Gesellschaft gegenübergestellt. Mit dramaturgischer Raffinesse spinnen die Brontë-Schwestern ihre Handlungsfäden, durch die sie ihre Leser fesseln. Denn bei allen Gefühlsexzessen sind ihre Bücher doch mit Kalkül konstruiert. Beeindruckend ist die scharfe Beobachtung des Zeitgeschehens, der Gesellschaftsentwicklungen und vor allem der psychologischen Prozesse. Ihre Bücher sind Plädoyers für individuelle Selbstbestimmung, wider alle Konvention, und schaffen neue, kraftvolle Frauenbilder in einer Zeit, da Frauen in der höheren Gesellschaft hauptsächlich Dekor waren. Ihr Leben selbst gleicht einem Rührstück. Jung müssen sie sterben, nach einem Leben voller Abschiede und Entbehrungen. Die Erfahrungen in der Kindheit haben sie mit einer unüberwindlichen Scheu vor anderen Menschen ausgestattet. Auf dem Bruder Branwell lagen die Hoffnungen der Familie, doch er ertränkt seinen Esprit und seine Talente in Alkohol. Aus der Hoffnung wird eine Last für die Familie. Trotzdem sind das Pfarrhaus in Haworth mit den anderen Geschwistern und das Schreiben immer wieder Zufluchtsorte für die Schwestern vor einer Wirklichkeit, in der sie mit ihrer verschlossenen und strengen Art zum Scheitern verurteilt sind. Zahlreiche Versuche als Gouvernanten - einer der wenigen respektierlichen Berufe für mittellose Frauen zur damaligen Zeit - enden in Krankheit und Depression. Der Plan, eine eigene Schule zu gründen, zerbricht am Desinteresse der Umgebung. Und als sie sich schließlich der Schriftstellerei widmen, schlagen ihnen Wellen der Empörung entgegen. Sturmhöhe (Wuthering Heights), Emiliys einziger Roman, ist wohl der literarisch herausragendste unter den Romanen der Brontë-Schwestern. Die Autorin stirbt ein Jahr nach der Veröffentlichung, vor 150 Jahren, am 19. Dezember 1848. Emily war eine seltsame Frau, die sich nach einem kläglichen Versuch als Gouvernante ganz dem Haushalt mit seinen Tieren und der öden Moorlandschaft verschrieben hat. In ihren Gedichten versucht sie, ihr Ich zu ergründen, reist in Tagträumen in dem von ihr und ihrer Schwester Anne erschaffenen Phantasiereich Gondal umher und schreibt ganz schlicht in ihrem Notizbuch von den Verrichtungen des Tages. Es ist ein Mysterium, wie Sturmhöhe entstehen konnte. Anne, die jüngste und zugleich unscheinbarste der drei Schwestern, bezieht ihren Trost und ihre Duldsamkeit aus einer tiefen Religiosität, die Charlotte jedoch verwehrt ist. Verantwortungsbewußt erfüllt Charlotte die Rolle der ältesten Schwester. Ihr Leben ist bestimmt von Pflicht und Disziplin. Sie muß die Vernünftige sein, die versucht, für ihre eigene sowie die Zukunft der jüngeren Geschwister zu sorgen, doch innerlich ist sie zerrissen von romantischen Sehnsüchten nach einem starken, leidenschaftlichen Mann etwa, gleich den Helden eines Byron, von großen Hoffnungen und von dem Wunsch, weiblich und schön zu sein. Ihr ist es als einziger vergönnt, mit ihrem zweiten Roman Jane Eyre Erfolg zu haben. Erst nach dem Tod ihrer Schwestern und nachdem sie bereits eine berühmte Schriftstellerin ist, kann sie sich von diesem verklärten Sehnen befreien. Sie heiratet einen unscheinbaren Hilfspfarrer und - gerade glücklich in ihrer Ehe - stirbt schwanger. |