Eines Tages kam ein junger Gelehrter zu Darn Ifydon, dem großen Philosophen und Wissenschaftler, und wollte von ihm die Geschichte des Landes kennenlernen. Ifydon, der gerade eine Abhandlung über den Berg Nyon schrieb, legte seine Feder weg, dachte über die Bitte nach und antwortete schließlich:
"Ich soll Dir die Geschichte
Schemuriens erzählen?
Ich kann es nicht. Niemand vermag das, mein Freund.
Denn wenn ich über vergangene Ereignisse berichte, muß ich die
beteiligten Leute erwähnen, und um jene zu verstehen, mußt Du
deren Sitten und Gebräuche kennen, die wiederum aus der
Geschichte heraus entstanden sind. Auch müßtest Du von den
Orten erfahren, an welchen die Geschehnisse stattgefunden haben,
und während ich Dir über die Geographie erzähle, dürfte ich
die Erschließung und Vermessung des Landes nicht vergessen, um
die sich frühe Pioniere und Gelehrte verdient gemacht haben.
Wenn ich aber schon bei den Weisen bin, kann ich unmöglich
Kunst, Kultur und Wissenschaft auslassen, denn hier hat
Schemurien viel zu bieten. Die Wissenschaften aber erklären so
manches, was in alter Zeit als göttliches Wirken angesehen
wurde, und um dies zu verdeutlichen, müßte ich Dir das Pantheon
der Götter vorstellen, die hierzulande von den Menschen verehrt
werden. Um aber jene Götter einzeln zu würdigen, ist es
erforderlich, deren Zuständigkeiten und Hintergrund zu
erläutern, und die Geschichte der Götter reicht bis zum Anfang
der Zeiten zurück.
So ist es wohl am sinnvollsten, chronologisch vorzugehen und
gleich mit den Taten der Götter zu beginnen, oder vielmehr:
deren Entstehung im Dunkel des Anfangs.
Die Geschichte Schemuriens, mein Freund, beginnt also mit der
Entstehung des Universums, und Du wirst wohl kaum von mir
verlangen wollen, daß ich so weit aushole. Weder Deine noch
meine Zeit würden ausreichen, all das zu erzählen, was sich
seitdem ereignet hat, und sei es auch nur in jenem zentralen
Abschnitt der Mittellande.
Daher wirst Du nun verstehen, daß ich Dir Deine Bitte nicht
erfüllen kann."
Da zog der junge Gelehrte betrübt von dannen, doch er hatte erkannt, daß er immer nur einen Teil der gesamten Geschichte erkennen würde und seine Frage demzufolge falsch gestellt war. Und noch bevor er Ifydons Haus verlassen hatte, verstand er, was der Philosoph ihm hatte vermitteln wollen, und er notierte sich als Leitspruch seine Folgerung: "Konkrete Erkenntnis beginnt mit einer konkreten Frage."
Inhaltsverzeichnis | zurück zur Bibliothek | Einzelne Ereignisse |