Über die Theorien des Seins

von Smaerd Dab-Driew

Über das Sein wurde schon viel gesagt und noch mehr geschrieben. Mir ist die traurige Aufgabe zugefallen, den Wust an philosophischen Abhandlungen, Theorien und diversen Veröffentlichungen im "Philosophischen Kurier", im "Monatlichen Theosophieleitfaden" und dem unregelmäßig erscheinenden "Klerikalen Amtsblatt" zu ordnen und einer vergleichenden Betrachtung zu unterziehen, um eventuelle Überschneidungen zu ermitteln und zumindest die gemeinsamen Erkenntnisse als Grundlage einer Theorienstruktur aufzubereiten.

Es erscheint mir sinnvoll, zuvor die verschiedenen Definitionen des Seins bzw. die unterschiedlichen Formen des Seins zu erläutern.

Schon aus dieser kurzen Übersicht ist erkennbar, daß Grundlage der Seinsformen das Dasein ist, denn wo nichts ist, kann auch nichts Form annehmen und sich wandeln.

Wenn oben das Sosein als momentane Form bezeichnet wurde, sagt dies noch nichts über die Dauer der Form aus: ein Berg behält seine Form gewöhnlich dauerhafter bei als eine Meinung.

Kritiker (darunter der bekannte Zweifler Arnulf Gavissy) wenden hier ein, daß Meinungen, ja persönliche Einstellungen überhaupt, keine Form im Sinne des Soseins darstellen.

Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß jegliche Meinung auf dem Empfinden, Wissen und Abwägen des Meinenden beruht. Wer wollte leugnen, daß jene Parameter nicht - unter vielen anderen - zu denjenigen gehören, die das Sosein eines Menschen ausmachen? Ist die Meinung nicht selten auch Ausdruck eines geistigen Zustandes, nämlich genau das geäußerte Abbild und Ergebnis der geistigen inneren Abläufe zum Zeitpunkt der Meinungskundgabe?

Diesen Argumenten konnte sich auch der Erzzweifler Fanha ap Dergan nicht verschließen, der noch vor wenigen Jahren die "Kritik der Vernunft an der Zustandstheorie" veröffentlicht hatte.

Wichtiger als die Betrachtung der leicht beobachtbaren Dinge des Daseins schien ihm jedoch die Beschäftigung mit dem Unfaßbaren, welches sich an der Grauzone zwischen Dasein und Nichtsein entlangschlängelt. Die außergewöhnliche Unsicherheit des Grenzbereichs, über den bislang wenig bekannt ist, übte natürlich gerade für mich als hochstehenden Gnordin-Anhänger einen besonderen wissenschaftlichen Reiz aus.

Die grundlegende Frage, die es zu untersuchen galt, war die Frage nach der Existenz und Beschaffenheit der halbexistenten Dinge. Sie, die nur zum Teil in die Welt, die wir zu kennen glauben, hineinragen, in unser Sein also, mögen von wenig stofflicher Qualität sein, doch verändern sie, mitunter unmerklich, unser aller Leben.

Wie sieht es mit der Existenz eines Gedankens, einer Idee aus, die niemand bisher gehabt hat? Ein Gesetz, das gerade in der Phase der Formulierung steckt?

Oder, um ein wenig an die düsteren Dinge zu rühren, wie existent ist ein Geist, ein Fluch, ein Nachtmahr, ein Ghul gar?

Jene Dinge (oder Wesen) stammen nach der Meinung einiger aus gewissen Schattenreichen, die eine schwache Verbindung zu dem aufweisen, was viele Menschen (oder Elfen) voreilig als "Realität" bezeichnen. (Zum Thema der Voreiligkeit erinnere ich an Etzel Wisbarn und dessen unrühmliches Ende.)

So können wir die Einflüsse jener Manifestationen nicht leugnen - vielmehr ist es die Aufgabe ernsthafter Kleriker, dem mit der gebotenen Ungenauigkeit präzise nachzugehen und ein Erklärungsmodell zu entwickeln. Dergan selber zweifelt die Existenz des bisherigen Fehlens einer umfassenden Theorie an und postulierte die Existenz des Nichts im Dasein als Voraussetzung für das Nichtsein: "Denn da, wo nichts ist, ist immer noch das Nichts, und das mit beeindruckender Präsenz."

Seine weiteren Folgerungen aus dem Spannungszustand zwischen Dasein und Nichtsein wurden zur Grundlage der modernen Welttheorien, wie sie sich vielfältig im Modell der sechs Dimensionen wiederspiegeln.

Über jene Theorien wird an anderer Stelle in diesem Buche noch berichtet werden.


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