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Viktor Ullmann (1898 - 1944)

Viktor Ullmann, Komponist, Pianist und Musikkritiker, wurde 1898 in Schlesien als Sohn eines österreichischen Offiziers geboren. Er studierte von Oktober 1918 bis Mai 1919 in Arnold Schönbergs "Seminar für Komponisten" an den Schwarzwaldschen Schulen in Wien. Seit 1919 in Prag lebend und nunmehr tschechischer Staatsbürger, wurde Ullmann auf Schönbergs Empfehlung Anfang 1920 Assistent von Alexander Zemlinsky, dem musikalischen Chef des Prager Neuen Deutschen Theaters. Sieben Jahre später leitete er als Erster Dirigent die Oper am Theater in Aussig, verließ jedoch nach einer Saison diese Stellung und gelangte über Zürich nach Stuttgart, wo er in einem Buchladen der Antroposophischen Gesellschaft arbeitete.
Als Jude, Antroposoph und Schönberg-Schüler gleichsam dreifach "entartet" im "Dritten Reich", sah Ullmann sich gezwungen, Deutschland zu verlassen. Er ging 1933 zurück nach Prag und studierte - neben vielfältiger musikpädagogicher und journalistischer Tätigkeit - am Vierteltonseminar von Alois Hába.
Seit 1923 wurden Kompositionen Ullmanns öffentlich aufgeführt; sein Oeuvre bis 1942 umfasst 3 Opern, 4 Klaviersonaten, Kammermusikwerke, Liederzyklen und Chormusik. Am 8. September 1942 wurde er mit seiner Frau in das Konzentrationslager Theresienstadt, 60 km nordwestlich von Prag, deportiert. In diesem "Vorzeigelager" der nationalsozialistischen Machthaber schrieb Ullmann zahlreiche Werke, u. a. die Oper "Der Kaiser von Atlantis oder die Todverweigerung". Dort entstand 1943 auch das 3. Streichquartett op. 46.

Die Produktivität Ullmanns in der furchtbaren Zeit des Konzentrationslagers resultiert, wie er betont, aus dem Glauben an eine "Mission des Menschen überhaupt, ... nicht nur des ästhetischen Menschen, sondern auch des ethischen Menschen." Und er lässt keinen Zweifel daran, "dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war...".

Viktor Ullmann und seine Frau wurden am 18. Oktober 1944 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet.

Seine Kompositionen notierte er auf der Rückseite von Deportationslisten, und wenn Aufführungen nicht das erhoffte Niveau erreichten, bekam er Tobsuchtsanfälle. Seine Frau musste ihn dann beruhigen: "Mensch, Viktor, du kannst doch nicht erwarten, dass du hier Musiker vom Range eines Casals hast!" Vieles von dem, was Viktor Ullmann im Konzentrationslager Theresienstadt geschrieben hat, ist auch dort erklungen, im "Kaffeehaus" oder auf ungeheizten Dachböden. Nur die Aufführung seines Hauptwerkes "Der Kaiser von Atlantis" wurde in letzter Minute von der SS-Kommandantur verhindert - die Oper schildert, wie mitten im Krieg der Tod die Arbeit verweigert.

Ullmann hatte gleich nach seiner Einlieferung im Herbst 1942 eine erschreckende Produktivität entfaltet. Das Vorzeigelager der Nazis, in Wahrheit eine "Transitstation" nach Treblinka und Auschwitz, bot Kulturprogramme von absurder Freizügigkeit. Es gab Gestapo-Parodien auf offener Bühne, Jazz mit den "Ghetto-Swingers", Mendelssohn und andere jüdische Komponisten. Ullmann referierte über "Mahler und Schönberg" und schrieb Konzertkritiken. Der fast allmächtige Ältestenrat residierte in einer vergleichsweise luxuriösen Kaserne, von den übrigen Häftlingen kafkaesk "das Schloss" genannt; ihm verdankte Ullmann die Freistellung von der Sklavenarbeit und die Leitung des "Studios für neue Musik". Auf diese Art opponierte er Tag für Tag gegen die N.S.-Ideologie, die in Juden eine kulturunfähige Rasse sah. "Unser Kulturwille war unserem Lebenswillen adäquat", heißt es in einem Text Ullmanns.

Die Rede von dem "Theresienstädter Komponisten" unterschlägt, dass es natürlich auch ein Leben vor dem KZ gegeben hat. Viktor Ullmann, Schüler Schönbergs und dann in Prag zweiter Kapellmeister unter Zemlinsky, stand Ende der dreißiger Jahre vor dem Durchbruch als Komponist. Zwar ist der Großteil seines Frühwerks verschollen, doch blieben unter anderem vier Klaviersonaten erhalten, zwei Opern und das "dionysische" Klavierkonzert op. 25. Schon 1935 wandte sich Ullmann von Schönberg ab; die Internierung zwingt ihn schließlich zu noch größeren Zugeständnissen an den Publikumsgeschmack. Zemlinskys Einfluss tritt stärker hervor, ebenso der Songstil Kurt Weills. Die deutsche Musiktradition wird mit ironischen Fragezeichen versehen: Im Finale der 2. Symphonie zitiert Ullmann ein Motiv auf B-a-c-h in grausam verfälschter Gestalt, und gegen "Nun danket alle Gott" setzt er den böhmischen Hussitenchoral.

Sein letztes Werk, ein Melodram auf Rilkes "Cornet", entstand Ende September 1944. Zwei Wochen später wurden Viktor Ullmann und seine Frau Elisabeth, seine erste Ehefrau und die befreundeten Komponisten Haas, Klein und Krása nach Auschwitz deportiert, von Dr. Mengele an der Rampe selektiert und in die Gaskammer geschickt. Auch Ullmanns zweite Ehefrau und zwei Söhne wurden ermordet. Seine Werke hatte er vor der Deportation dem Leiter der Getto-Bibliothek anvertraut. Erst 1975 kam "Der Kaiser von Atlantis" auf die Opernbühne und geht seitdem um die Welt.

Der Mensch Viktor Ullmann wird uns als großer Sinnsucher geschildert. Rudolph Steiner war sein Guru, und Anfang der dreißiger Jahre leitete er sogar eine anthroposophische Buchhandlung in Stuttgart. Ullmanns Schaffen, insbesondere sein 1935 geschriebenes "Bühnenweihfestspiel" "Der Sturz des Antichrist" ist ohne diesen weltanschaulichen Hintergrund genauso wenig verständlich wie seine letzte, folgenschwere Entscheidung: Er lehnte Flucht und Exil ab, um seinen Mitmenschen in der Not beizustehen, um Zeugnis abzulegen, dass der Geist nicht gemordet werden kann. Sein Kaiser von Atlantis, der freiwillig den Tod auf sich nimmt, singt in der Abschiedsarie: "... doch leise ist in mir noch Hoffnung später Wiederkehr." Wer darf heute sagen, sie habe sich erfüllt?

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