Rudi Stephan
(1887 - 1915)
Rudi Stephan wird am 29. Juli 1887 in Worms in eine gutsituierte Juristenfamilie hineingeboren. Der Vater ist hessischer Landtagsabgeordneter sowie Vorstandsmitglied des örtlichen Wagnervereins. Das musikalische Interesse des jungen Stephan, der - durch die Musikästhetik eines Wackenroder, Tieck und E. T. A. Hoffmann beeinflußt - bereits 1904/05 gemeinsam mit Schulkameraden ein "Farbenklavier" entwirft, wird von der Familie stets gefördert. Als er im Jahre 1905, nach zwei mißglückten Versuchen den Abiturabschluß zu bekommen, das Gymnasium in Worms verläßt, geschieht dies mit Zustimmung der Eltern, und er beginnt unmittelbar danach sein musikalisches Studium, zunächst für ein Jahr am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main bei Bernhard Sekles (1872-1934), der gleichermaßen ein äußerst feinsinniger Komponist von individueller Prägung als auch ein hervorragender Musikpädagoge war. Außer Stephan gehörten später so berühmt gewordene Köpfe des Geisteslebens wie Paul Hindemith, Hans Rosbaud und Theodor W. Adorno zu seinen Schülern. 1906 geht Stephan nach München, wo er bei dem Musikschriftsteller, Kritiker und Theoretiker Rudolf Louis sein Studium fortsetzt und zwei Jahre später daselbst abschließt. Während seiner musikalischen Ausbildung - in der er außerdem philosophische Seminare besucht und Klavierunterricht nimmt - erhält er immer wieder Einblick in das Werk der bedeutenden zeitgenössischen Komponisten wie Claude Debussy, Richard Strauss, Max Reger, Hans Pfitzner, Igor Strawinsky und Arnold Schönberg. Jedoch bemüht sich Stephan, der ab 1908 autodidaktisch arbeitet und die ersten Werke produziert (Opus 1 für Orchester 1908, Musik für sieben Saiteninstrumente 1911, Musik für Orchester 1912, Liebeszauber für Bariton und Orchester 1913, daneben einige Klavierlieder 1913/14) um die Herausbildung seines eigenen musikalischen Stils. Durch die großzügige finanzielle Unterstützung des Vaters ermöglicht, findet am 16. Januar 1911 das erste öffentliche Konzert mit Werken von Stephan in der Münchener Tonhalle statt. Obwohl die Stücke mehr schlecht als recht einstudiert sind und das gemietete Münchner Konzertvereins-Orchester eine eher durchschnittliche Vorstellung gibt, erhält der Komponist gleichwohl eine breite Anerkennung bei der Kritik. Weitere Aufführungen folgen: Ist die Reaktion auf die am 30. Mai 1912 beim Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV) in Danzig erstgespielte Musik für sieben Saiteninstrumente noch geteilt, so gelingt Stephan im Juni 1913 beim Tonkünstlerfest des ADMV in Jena mit der Darbietung seiner Musik für Orchester (1912) schließlich der Durchbruch, der wiederum einen Vertragsabschluß mit dem Schott Verlag nach sich zieht. Die Aufführung seines größten und bedeutendsten Werkes, der zweiaktigen Oper 'Die ersten Menschen', die er im Juli 1914 vollenden kann, hat Stephan leider nicht mehr erleben dürfen. Die Beschäftigung mit der Vorlage, dem gleichnamigen erotischen Mysterium (1908) des zeitgenössischen und äußerst umstrittenen Bühnenautors Otto Borngräber (1874-1916) reicht in das Jahr 1909 zurück, als Stephan sowohl das Stück als auch dessen Verfasser kennenlernt. Schon von Anfang an gestaltet sich das Projekt schwierig. Die Verhandlungen über den Erwerb der Rechte an der Borngräberschen Vorlage ziehen sich lange hin. Er erhält sie 1911. Auch der Reifungsprozeß des Werkes erstreckt sich über viele Jahre (bis 1914). Zwar stimmt das Frankfurter Opernhaus der Uraufführung für Januar oder Februar 1915 zu, und auch der Schott Verlag erklärt sich mit der Veröffentlichung einverstanden, allerdings vereitelt der Ausbruch des 1. Weltkrieges am 1. August 1914 all diese Bemühungen. Die Drucklegung der Partitur wird kurzfristig unterbrochen und die Uraufführung auf unbestimmte Zeit verschoben. Als Stephan am 2. März 1915 zum Kriegsdienst einberufen wird, hat er bis dahin noch einige Klavierlieder komponiert und frühere Werke überarbeitet. Noch während seiner Urlaube versucht er, die Veröffentlichung der Oper voranzutreiben. Schließlich wird er am 29. September 1915 bei Tarnopol in Galizien als einziger seiner Truppe erschossen. Die in erster Linie auf Initiative von Ludwig Strecker zustandegekommene Uraufführung der 'Ersten Menschen' findet am 1. Juli 1920 im Opernhaus Frankfurt am Main unter der musikalischen Leitung von Ludwig Rottenberg statt. Erst diese und weitere Aufführungen sollten der Nachwelt vor Augen führen, welch enormes Potential in Stephans zukunftsweisender Begabung steckte und durch seinen viel zu frühen Tod so sinnlos verloren ging. (Johannes Hanstein) |