(Dieser Artikel ist erschienen im "forum" , der Zeitung des Stadtverbandes Köln der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Dezember/Januar 1994/5)
"Eure Schule - das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim soll in mancher Hinsicht schon recht weit sein bei der Entwicklung des Schulprogramms. Schreibt doch mal was darüber! ", so lautete die Aufforderung der Redaktion. Was an unserem Prozeß ist interessant für andere Kolleginnen und Kollegen ?", so fragten wir uns dann. Soll es eine Chronologie unseres bisherigen Weges sein, um das "Nachmachen" oder "das - Gerade - nicht -Nachmachen " zu ermöglichen ? Oder soll es mehr verallgemeinern, systematisch Zwischenergebnisse sichern. Wir haben uns für eine Mischung entschieden.
Und noch eine Vorbemerkung. Wir schreiben diesen Artikel aus der Sicht zweier Kolleginnen, die nicht Mitglied der bei uns seit anderthalb Jahren bestehenden Planungsgruppe für das Schulprogramm sind, aber den Prozess als ausgesprochen positiv erleben. Nun zur Sache.
Schon bevor die Richtlinien SEK I, den Schulen im Sommer 1993 den Auftrag gaben, ein Schulprogramm zu entwickeln, fand an unserer Schule seit 3 Jahren alljährlich im Januar ein ganztägiger Kollegiumsinterner Fortbildungstag statt. Die Themen: "Der Umgang mit Konflikten innerhalb einer Schule", "Entwicklungspsychologische Aspekte der Adoleszenz - vom Umgang mit jungen Menschen im Spiegel eigener Erfahrungen" und "Was ist ein guter Lehrer". Was haben diese Tage mit dem Schulprogramm zu tun ?
Unser Kollegium hatte schon Vorerfahrungen - positive wie negative in der Verständigung um pädagogische Fragen gewonnen.
Die Positiven: An allen diesen Tagen wurden jeweils eine Fülle von Aspekten formuliert, die Kolleginnen und Kollegen belasten, welche Ansprüche sie haben an die Schule und ihre Arbeit. Es wurden viele Erwartungen an Veränderungen im Schulalltag formuliert.
Die Negativen: Alle diese Dinge gingen dann im Schulalltag mehr oder weniger unter, waren kein Thema mehr, wurden nicht konkretisiert.
Die Folgen: Das schaffte Frust bei einigen, andere fühlten sich in ihrer sowieso skeptischen Haltung gegenüber solchen Diskussionen bestärkt.
Im Sommer 1993 kamen dann die Sek I Richtlinien ins Haus. Unser bisher ohne Rahmen und roten Faden ablaufende Prozess, konnte eine Einordnung erfahren. Die Initiative zur Organisation des Prozesses ging an unserer Schule von der Schulleitung aus. Das hat entscheidende Vorteile, weil man so einen umfassenden Prozeþ u.E. nicht gegen eine Schulleitung durchsetzen kann. Der Nachteil ist, daþ diese Tatsache bei einigen KollegInnen Miþtrauen in den Prozess schürt.
Zu diesem Zeitpunkt war uns nur in Umrissen klar, was das sein soll, ein Schulprogramm. Und etwas zweites war unklar, dass der Prozess selbst viel Zeit braucht. Die Mehrheit des Kollegiums war jedoch bereits, sich zumindest einmal darauf einzulassen.
Eine Gruppe aus neun Kolleginnen und Kollegen (wir haben etwa 100 KollegInnen und 1300 SchülerInnen) bildete eine Planungsgruppe. Die Schulleitung ist Mitglied, aber sie leitet die Gruppe nicht. Die Planungsgruppe wurde im September 1993 von der LehrerInnenkonferenz beauftragt, den nächsten Fortbildungstag vorzubereiten. In einem Fragebogen wurden alle KollegInnen dazu befragt, was sie an unserer Schule für veränderungswürdig hielten.
Die Planungsgruppe entwickelte daraus sechs Themenschwerpunkte, die auf dem nächsten Fortbildungstag im Januar 1994 in Arbeitsgruppen behandelt wurde.
Die Themen:
* Kooperation und Konfliktlösung in der Erprobungsstufe
* Erarbeitung eines pädagogischen Konzeptes für die Stufen 7-10
* Neue Unterrichtsmethoden und Arbeitstechniken - Förderung der Selbständigkeit
* Kooperation innerhalb des Kollegiums
* Welchen Erziehungsauftrag hat die Schule ?
* Anforderungen durch die neuen gesellschaftlichen und beruflichen Realitäten
Die Themen waren noch sehr allgemein, sie wurden in den Gruppen unterschiedlich stark konkretisiert, die Ergebnisse allen per Wandzeitung mitgeteilt. Manche flossen direkt in konkrete Veränderungsvorschläge ein. So entwickelte die Gruppe Kooperation im Kollegium, ausgehend von der Erkenntnis, dass die Organisation des Schulvormittags keine Zeit für als notwendig erachtete Gespräche unter KollegInnen lässt die Idee, einmal in zwei Wochen eine halbe sechste Stunde und eine halbe siebte Stunde für solche Gespräche zur Verfügung zu stellen. In der Gruppe "Stufe 7 -10" wurden neue Unterrichtsmethoden, wie "Offener Unterricht" angedacht. In der Gruppe "Erprobungsstufe" wurden zentrale Probleme, wie das der Konzentrationsschwächen, der groþen inneren Differenzierung, der Abstimmung mit den Grundschulen angesprochen, ohne schon Lösungen zu entwickeln.
Danach gab es in dem Prozeß ein gewisses Loch. Zwar wurden auf der nachfolgenden Lehrerkonferenz im März einige dieser Themen angerissen, aber gleichzeitig überlagerte der hektische Schulalltag in diesem kurzen Sommerhalbjahr alles weitere. Aus unserer Sicht ist es der Planungsgruppe in dieser Phase nicht genügend gelungen, den weiteren Fortgang transparent zu machen. Dies ist aber aus unserer Sicht von zentraler Bedeutung dafür, dass alle, die wollen mitdenken können, auch wenn sie nicht in der Planungsgruppe sind.
Diese tagte regelmässig, dachte weiter über den Gesamtprozess nach und dies auch noch unter wissenschaftlicher Anleitung durch den Soester Schulentwicklungsplaner Isselburg. Aus unserer Sicht war der Prozess erstmal auf Eis gelegt, bzw. er verlagert sich z.T. auf ein zweites Feld des Schulprogramms - die Konkretisierung der neuen Richtlinien auf Fachebene. Dies jedoch, ohne, dass ein Zusammenhang zwischen den beiden Ebenen hergestellt wurde.
Dieser Bruch wurde auch nach den Ferien deutlich. Auf der ersten LehrerInnenkonferenz schlug die Planungsgruppe vor, noch vor dem nächsten Fortbildungstag, der am 31.10.94 sein sollte, einen Nachmittag lang über die Gestaltung von LehrerInnenkonferenzen nachzudenken. Zunächst hat dieser Vorschlag mehr das Gefühl von Diskontinuität und Sprunghaftigkeit erzeugt. Im nachhinein ist der Stellenwert dieser Diskussion deutlicher, da Konferenzen der zentrale Ort sin, an dem sich das Kollegium über seine Ziele verständigen muss. Da viele KollegInnen Konferenzen aber nur als Belastung,muss sich etwas an der Gestaltung von Konferenzen ändern.
Im August 1994 wurden dann in 9 Arbeitsgruppen, die bewußt in alphabetischer Reihenfolge zusammengesetzt wurden, folgende drei Fragen diskutiert:
- Worin sehen wir die wichtigsten Aufgaben von Konferenzen ?
- Was hindert uns vor allem daran das Konferenzziel zu erreichen ?
- Welche Veränderungen halten wir für notwendig?
Die Diskussion zeigte eine große Bandbreite an Auffassungen bezüglich der Bedeutung von Konferenzen und erbrachte erste Verbesserungsvorschläge.
unserer Schulprogrammdiskussion war der Fortbildungstag am 31.10.1994.
Die Planungsgruppe hatte Vorschläge für Arbeitsgruppen entwickelt, die eine deutliche Kontinuität zu den Themen, die im Januar bzw. im August behandelt worden waren, zeigten. Die Vorschläge zielten insgesamt darauf hin, an einzelnen Fragen, die im Januar aufgeworfen waren , konkreter zu werden. Z.B. sollte eine Gruppe eine beschlußreife Vorlage zur Gestaltung der Lehrerkonferenz entwickeln, eine andere ein konkretes Unterrichtsprojekt: "Offener Unterricht in der Stufe 10" erarbeiten.
Neu war, dass KollegInnen, die die gemachten Vorschläge nicht interessant fanden, diesmal nicht murrend in eine der Gruppen gingen, sondern eigene Vorschläge entwickelten und diese dann auch umsetzten. Einige KollegInnen wollten z.B. nicht allgemein über neue Unterrichtsformen diskutieren, sondern den Tag nutzen, um bestimmte Themen der Fachkonferenzen (Freiarbeit in der Stufe 5/6; Anforderungden und Unterrichtsinhalte in der Stufe 9/10) konkret zu besprechen. Soweit erkennbar ist, haben viele dies Vorgehen als sehr befriedigend empfunden.
Erste konkrete Vorlagen liegen für die nächste LehrerInnenkonferenz im November vor, z.B. ein Papier zur Neugestaltung der Konferenzen. Eine Gruppe, die sich mit der Orientierungsstufe beschäftigt hat, arbeitet an, der Entwicklung einer verbindlichen Lernförderung "Einführung in Arbeitsmethoden der weiterführenden Schule" für die Stufe 5. Diese soll am nächsten Fortbildungstag im Januar 1995 fertiggestellt werden. Eine weitere Gruppe hat sich grundsätzlich auf das Projekt "Offener Unterricht" in der Stufe 10 verständigt. Sie arbeitet jetzt an der Konkretisierung für das 2. Halbjahr 1995.
Aus unserer Sicht erfolgte an diesem Tag ein qualitativer Sprung in dem Prozeß der inneren Schulentwicklung.
Erstens wurde ein großer Schritt in Richtung Konkretheit und Praxisnähe gemacht.
Zweitens hat ein Differenzierungsprozeß im Kollegium stattgefunden: Ein Teil des Kollegiums hat damit begonnen, seine eigenen Interessen hinsichtlich eines Schulprogramms zu formulieren und diese selbständig zu organisieren. Ein anderer Teil hat sich dezidiert gegen die gesamte Zielsetzung des Schulprogramms ausgesprochen.
Kritiker sind gegen die Entwicklung von mehr Kollektivität, da diese ihre individuelle Freiheit in der Unterrichtsgestaltung einschränke. Die in diesem Prozeß bereits entwickelten Schritte zur Demokratisierung unserer Schule lehnen sie ab, weil sie die vom Beamtenrecht vorgegebenen Machtstrukturen nicht beseitigen. Sie halten dies nur für eine "geschickte Form", Arbeit, die eigentlich von den dafür bezahlten Funktionsstelleninhabern gemacht werden sollte, zu verteilen. Angesichts der ständig steigenden Arbeitsbelastung, die uns zugemutet wird, sollten wir die ganze Zusatzarbeit, die durch die Arbeit am Schulprogramm entsteht verweigern.
Aus unserer Sicht sprechen diese KollegInnen wichtige Kritikpunkte an unserem Schulsystem und unseren Arbeitsbedingungen an. Die Konsequenz, die sie ziehen, teilen wir jedoch nicht. Und dies aus mehreren Gründen:
1. Mit der Verweigerung an der Schulprogrammdiskussion teilzunehmen, ändern wir nichts an unseren Arbeitsbedingungen und der Hierarchie im Schulsystem. Gegen die Verschlechterung äuþerer Arbeitsbedingungen müssen wir auf der Ebene kämpfen, auf der sie beschlossen werden - auf gewerkschaftlicher und politischer Ebene.
2. Die Diskussion des Schulprogramms ermöglicht es, in einem bestimmten Rahmen gestaltend auf unseren Arbeitsalltag einzuwirken. Das schafft mehr Befriedigung und macht die Arbeitsbelastungen damit auch subjektiv erträglicher.
3. Der Prozeß darf aber auch nicht zur Selbstausbeutung führen. Deshalb ist zu fordern, dass für die nötigen Diskussionen auch Unterrichtszeit zur Verfügung gestellt wird. Wichtig ist, dass man sich nicht zuviel auf einmal vornimmt und sich sehr viel Zeit läßt. Mittlerweile hat unsere Schulleitung z.B. auch die Idee aufgegriffen, daß KollegInnen, die sich zu einem bestimmten Thema verständigen wollen, die halbe 6. Stunde als "Dienstbesprechung" in Anspruch nehmen.
4. Aus der Diskussion um ein Schulprogramm kann sich schließlich politische Sprengkraft entwicklen. Wenn sie dazu führt, dass mehr KollegInnen, aber auch SchülerInnen und Eltern (hier sind wir noch nicht soweit) beginnen, selbstbewußt ihre Ansprüche an eine "gute Schule" zu formulieren und dies vom Ministerium auch noch so gewollt ist, dann werden an einer Vielzahl von Stellen die Widersprüche zur gleichzeitig auf Sparpolitik reduzierten Bildungspolitik immer offensichtlicher. Dies erhöht dann aber auch die Ansatzpunkte, um politischen Druck für eine Veränderung der Rahmenbedingungen zu entwickeln.