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Gavin Bryars (1943)

Gavin Bryars, geboren 1943 in Goole, Yorkshire, ist der provozierendste und schöpferischste Vertreter einer ungewöhnlich begabten Generation von Komponisten. Er begann seine Karriere aus der in der britischen Musik seltenen Position des Experimentalisten, hat seitdem einen radikalen Kurs eingeschlagen und dabei eine weltweite Anhängerschaft gewonnen. Seine Musik wird auf den bedeutendsten internationalen Festivals gespielt und bei Plattenfirmen wie Decca, ECM und Philips eingespielt. 1979 gründete er das Gavin Bryars Ensemble, mit dem er ausgedehnte Tourneen unternimmt. Dennoch ist er dabei standhaft außerhalb des Establishments - und ihm auch immer ein paar Schritte voraus - geblieben.

Während seines Philosophiestudiums an der Universität Sheffield spielte er in seiner Freizeit Jazzkontrabass und beschäftigte sich intensiv mit freier Improvisation. Die Stunden unorthodoxen Übens und seine Erfahrungen mit Hobbymusikern in der Portsmouth Sinfonia hatten Einfluss auf frühe Werke wie "The Sinking of the Titanic" (1969) und das klassische "Jesus' Blood Never Failed Me Yet" (1971). Deren Konzeption stellte etwas Neues in der britischen Musik dar und entsprach zugleich vollkommen Bryars eigenem schöpferischem Anliegen, bei dem Aufgeschlossenheit gegenüber vielfältigen Erfahrungen mit einer an assoziativen Kräften reichen Phantasie kombiniert wird. Seine Verbindung zur Bewegung der zeitgenössischen bildenden Kunst und Malerei in den Siebzigern gab seiner Arbeit starke künstlerische Impulse; das intensive Studium des Werks von Marcel Duchamp hatte diese Phase eingeleitet. Die daraus hervorgegangenen Stücke "Out of Zaleski's Gazebo" (1977) und "My First Homage" (1978), beide für zwei Klaviere, zeigen ein neuerliches Interesse an "gefundenem" Material und eine Verfeinerung seiner ohnehin schon differenzierten harmonischen Palette.

Ein Wendepunkt in seiner Entwicklung war die Oper "Medea", die 1984 in einer Inszenierung von Robert Wilson an der Oper von Lyon und der Pariser Oper uraufgeführt wurde. Zum ersten Mal bildete ein Werk für große Besetzung den Mittelpunkt seines musikalischen Interesses. Mit den Balletten "Sub Rosa" (1986) und "Four Elements" (1990) setzte Bryars seine Arbeit für die Bühne fort, während er gleichzeitig die für ihn neuen musikalisches Gebiete der Instrumental-, Vokal- und Chormusik erforschte, die er für eine Reihe namhafter Künstlerkollegen komponiert hatte. "Glorious Hill" (1988) war das erste von mehreren Stücken, die in erfolgreicher Zusammenarbeit mit dem Hilliard Ensemble entstanden, wie auch das "Cadman Requiem" und "Incipit Vita Nova" (für dessen Kontratenor David James), die beide 1989 geschrieben wurden, sowie "Three Poems of Cecco Angiolieri and Expressa Solis" aus dem Jahre 1997. Das Cellokonzert "Farewell to Philosophy" (1995) wurde von Julian Lloyd Webber und dem English Chamber Orchestra uraufgeführt.

Als Fan von Sherlock Holmes und Mitglied des College of Pataphysics ist es für Bryars ein Anliegen, seine weit reichenden literarischen Interessen in Musik umzusetzen. So schlägt sich beispielsweise seine Begeisterung für frühe englische Texte in "The War in Heaven" (1993) für Chor und Orchester nieder, jene für Bram Stokers "Dracula" in "The North Shore" (1994), die für Thomas de Quincy im a cappella-Werk "And so ended Kant's travelling of this world" (1997) und schließlich die für Jules Vernes "20.000 Meilen unter dem Meer" in den drei 1991 komponierten Seestücken "The White Lodge" für Mezzosopran und Elektronik, "The Black River" für Sopran und Orgel und "The Green Ray" für Sopransaxophon und Kammerorchester.

Bryars zweite Oper "Doctor Ox's Experiment" nach einer Kurzgeschichte von Verne (Libretto Blake Morrison, UA English National Opera 1998, DEA Dortmund 1999) war die logische Fortsetzung seiner seit "Medea" komponierten Musik. Als weitere Station im Verlauf von Bryars künstlerischer Reise ist sie sowohl eine Zusammenfassung seiner bisherigen Leistung als auch ein Bote kommender Opernabenteuer. Im Februar 2002 wird in Mainz "G", basierend auf dem Leben von Gutenberg, wieder zu einem Text von Blake Morrison, uraufgeführt.

1998/99 arbeitete Bryars mit Merce Cunningham zusammen am Ballett "Biped"; er war übrigens der erste Komponist, mit dem Cunningham seit dem Tod von John Cage arbeitete. Es folgten eine Reihe von Stücken, darunter das dritte Streichquartett für das Lyric Quartet (das alle drei Quartette für ASV einspielt) und ein Violinkonzert. Inzwischen hat Bryars eine Serie von Madrigal-Sammlungen für das Hilliard Ensemble und das Trio Mediaeval in Angriff genommen, wobei jede Sammlung zu einem bestimmten Wochentag geschrieben wird. Er arbeitet außerdem mit Carolyn Carlson an einem Tanzwerk für große Besetzung für das Dutch National Ballet, das Ende 2002 erscheinen soll. Soeben hat Bryars ein neues Werk für das Ensemble Tõzai fertig gestellt, "Toru's Mist" für Violine, Klavier, Shakuhachi und japanisches Schlagzeug, das beim Brighton Festival uraufgeführt und danach auf einer Englandtournee im Mai und nochmals im Herbst 2001 gespielt wird.

 

Gavin Bryars gehört zu den wichtigsten lebenden englischen Komponisten. Geboren 1943 in Yorkshire, entschied er sich zwischen einer Karriere als Fußballer und einem Philosophiestudium für letzteres und wurde - Jazzbassist. 1966 gab er den Jazz auf und machte sich einen Namen als experimenteller Komponist. Der Anarchismus der 68er vertrug sich gut mit Bryars' Hang zum Unkonventionellen. Er gründete die "Portsmouth Sinfonia", ein Orchester, das jedem Mitglied zur Auflage machte, sein Instrument nicht zu beherrschen. Sein erstes großes Instrumentalwerk, "The Sinking of the Titanic" (1969) ist mehr ein Konzept als ein festgeschriebenes Stück Musik. Ähnlich "Jesus Blood Never Failed Me": eine Melodie, gesungen von einem Obdachlosen, als Tonbandschleife begleitet und variiert von einem Instrumentalensemble. Eine Neuauflage 1993 brachte Gavin Bryars mit Tom Waits zusammen, der sich für das Stück begeisterte und seine Stimme ebenfalls einfließen ließ - das Ergebnis wanderte in die Klassik-Charts!

1966 arbeitete Bryars zunächst mit dem politisch engagierten Komponisten Cornelius Cardew zusammen, traf in den USA dann auf John Cage, der ihn beeinflusste. Seitdem hat er zahlreiche Stücke für teilweise ungewöhnliche Besetzungen geschrieben, u.a. für das Hilliard Ensemble, aber auch zwei Opern: "Medea" (1984 in Lyon in der Inszenierung von Robert Wilson uraufgeführt) und "Dr. Ox's Experiment" (nach Jules Verne), die 1997 in Dortmund aufgeführt wurde. Sein Cellokonzert "Farewell To Phi-losophy" (1995) thematisiert das Ende seines Philosophie-Studiums, und so sind es oft äußere Anlässe, die ihn zum Komponieren angeregt haben.1979 gründete er das "Gavin Bryars Ensemble", mit dem er viel auf Konzertreisen unterwegs ist.

Bryars Musik hebt den Zuhörer in seltsame Schwebezustände; sie lässt die Zeit still-stehen und macht dies hörbar. Nur im dramatischen Kontext einer Oper hebt er dieses Prinzip der langsamen Entwicklungen, der musikalischen Zustandsbeschreibungen auf, wenn es die Szene erfordert. Er verwehrt sich gegen den Zwang, immer "Neues" machen und das Vergangene kritisieren zu müssen; seine Musik soll den Zuhörer erreichen.

Seit 1985 ist Gavin Bryars Professor für Musik an der Montford University in Leicester. Stets ist es für ihn die schlimmste Vorstellung, eines Tages zum "Establishment" der gefeierten Musiker und Komponisten zu gehören, oder, um es anders zu sagen: Das Unberechenbare ist die einzige Konstante in seinem Schaffen.

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