Beth Gibbons und Rustin Man |
Out Of Season |
Released 2002 |
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1994 tauchte eine Band aus dem kleinen, bei Bristol liegenden Kaff Portishead mit dem Album Dummy auf und schrieb damit die ersten Kapitel eines Genres, das weder benannt und gerade erst erfunden war: TripHop. Die komplexe Musik von Portishead schraubte Geoff Barrow aus unzähligen Samples, manipulierten HipHop-Beats und düsteren, psychedelischen Gitarrenklängen zusammen. War sie fertig, legte Beth Gibbons ihren Gesang darüber, so wie ein Konditor Puderzucker über einen Kuchen streut. Portishead, das war ein Gesamtkunstwerk, für Beth Gibbons aber auch ein goldener Käfig, denn Barrows ungemein ausgeklügelte Sounds ließen wenig Spielraum für Gibbons Stimme. Vier Jahre nach ihrem Debüt waren Portishead weltbekannt und ein (vorerst?) letztes Mal auf Tour. Es war ein unerträglicher Sommer in Norddeutschland und im August standen die Briten auf der Freilichtbühne des Stadtparks, über ihnen drohten unheilvolle Wolkenmassen mit sintflutartigen Regenfällen. Gibbons röhrte mit aufgekratzter Stimme und legte sich einmal gepflegt auf die Schnauze: Es war ein so angenehmer menschlicher Fall. Danach verschwanden Portishead wie sie kamen: ohne Fanfaren.
Das Jahr 2002 ist fast abgelaufen, da taucht Beth Gibbons unerwartet als Solo-Künstlerin mit dem Album Out Of Season wieder auf. TripHop-Fans werden trotz einiger aus alten Tagen herübergeretteten Sounds und der Mitarbeit des Portishead-Gitarristen Adrian Utley ihre Schwierigkeiten bekommen, denn Beth Gibbons hat ihr Spektrum gewaltig erweitert. Das zusammen mit dem ehemaligen Talk-Talk-Bassisten und Klangtüftler Paul Webb eingespielte Album fließt anmutig und graziös zwischen klassischen Songs und elektronischen Passagen. Trotz des Mitwirkens eines Chors und Orchesters wurde Out Of Season zumeist sparsam arrangiert und nutzt nur selten die Möglichkeiten des Opulenten. Das Erfreulichste aber ist Beth Gibbons Stimme, die -- wie befreit vom Portishead-Klangkorsett -- neu zu atmen scheint. Mal lasziv, mal zerbrechlich, manchmal etwas gekünstelt, dann wieder mit einem Janis-Joplin-Timbre -- Beth hat angeblich in einer Joplin-Coverband gespielt -- setzt sie ihr Organ ein und gibt dem Album den letzten Glanz. Im reichlich bebilderten Booklet finden sich neben stimmungsvollen Fotos aus dem Aufnahmestudio auch eines, das einen von Bergen umsäumten See mit einem zerfallenen Steg an einem Herbsttag zeigt. Von diesem Ort scheint die Musik auf Out Of Season auch zu kommen, wirken wird sie weit darüber hinaus. --Sven Niechziol