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Honoré de Balzac - Eine Entdeckungsreise in Paris

 

Zwischen der Rue Raynouard und der Rue Berton steht das Haus von Honoré de Balzac, in welchem heute ein Museum, das sich dem Leben und Schaffen des Schriftstellers widmet, untergebracht ist. Von Oktober 1840 bis zum April 1847 hatte der berühmte Autor in diesem Haus eine bescheidene Wohnung in der zweiten Etage.

 

Balzac wird 1799 in Tours als ältestes von 4 Kindern geboren. Als er seine literarische Ader entdeckt, lassen ihn seine Eltern gewähren, so daß er seine juristische Karriere aufgeben kann. Fortan widmet er sich dem Schreiben. Da aber der Erfolg auf sich warten läßt, kauft er eine Druckerei und beteiligt sich an einer Buchhandlung. Seine Geschäfte enden in einem finanziellen Desaster und bewirken eine ständige Geldnot bei Balzac. 1831 schreibt er in einem Brief, daß sich eine Struktur in seinem Werk bildet. Er hat vor, die französische Gesellschaft seiner Zeit in einer literarischen Gesamtdarstellung zu zeichnen. 1840 gibt er seinem Werk erstmals einen Namen: "La Comédie humaine". 1841 unterschreibt er einen Vertrag mit 4 Verlegern, die ihnen das Exklusivrecht auf Druck und Verkauf seines Komplettwerks zusichern. Da er seine bereits geschriebenen Werke ebenfalls in die "Comédie humaine" einbinden will, muß er sie nochmals lesen und entsprechend korrigieren, denn die Personenstruktur des Werks soll einheitlich sein durch Figuren, die in mehreren Werken wiederauftauchen. Pro Monat sitzt er über 200 Stunden über der "Comédie", liest jedes Manuskript und jeden Entwurf dreimal, um sie zu berichtigen. 1845 veröffentlicht Balzac einen Gesamtkatalog der "Comédie humaine", die 137 Werke umfassen soll. Für den Rest seines Lebens widmet er sich jede freie Minute der Komplettierung der "Comédie". Er kann sein Werk jedoch nicht beenden, da seine Gesundheit zu sehr angegriffen ist. Er wird nur 51 Jahre alt. In der "Comédie humaine" treten ca. 3.000 Personen auf, und sie umfaßt 90 Bände.

Im Gartenhaus zwischen der Rue Raynouard und der Rue Berton hoffte er, in Ruhe an seiner "Comédie humaine" arbeiten zu können. Ruhe, das heißt Abstand von seinen Gläubigern, die den stets verschuldeten Autor mit ihren Forderungen verfolgten, und akustische Ruhe, um konzentriert schreiben zu können. Seine stete Verschuldung machte ihn bei seinen Verlegern unbeliebt, denn immer, wenn Balzac ein Manuskript überarbeitete, korrigierte er es nicht nur, sondern verlängerte es auch noch, denn in seiner Epoche wurde der Autor vom Verleger nach der Länge der Werke bezahlt. Er quartierte sich nicht unter seinem richtigen Namen in das Haus ein, sondern unter dem Pseudonym Monsieur de Breugnol, nach dem Namen seiner Gouvernante. Was die akustische Ruhe betraf, so hatte Balzac das Pech, in der Nachbarschaft kinderreicher Arbeiterfamilien zu wohnen, die eine entsprechende Lautstärke verbreiteten. So beklagte sich Balzac 1844 darüber, daß ihn die Kinder der unter ihm wohnenden Familie durch ihr Gestampfe und Gepoltere vom Arbeiten abhielten. Die Lösung bestand für ihn darin, daß er die Nacht zum Tage machte. Also stand er zwischen Mitternacht und 2 Uhr morgens auf und begann sein Werk, das bis in den Morgen dauerte. In dieser Zeit goß er dutzende Tassen Kaffee in sich hinein; es ist selbstredend, daß das nicht gerade gesundheitsfördernd war, zumal er noch zusätzlich mit seinem Übergewicht und einem Herzleiden zu kämpfen hatte. Als sein angegriffener Magen rebellierte, ließ er sich seine Gewohnheit trotzdem nicht nehmen, arbeitete wie ein Besessener und trank weiter. Er starb am 19.8.1850.

Außer ihm bewohnten noch 15 andere Mieter das Haus, das heute als "Maison de Balzac" vollständig auf drei Etagen zu besichtigen ist. Sehr interessant sind die Originalhandschriften Balzacs und die Originalmanuskripte, die Balzacs Randbemerkungen und Korrekturen zeigen. Im folgenden sollen die herausragenden Besonderheiten des Hauses geschildert werden.

Im "Cabinet de travail", das in rotem Velours gehalten ist, steht sein kleiner Schreibtisch. Man kann sich den Autor vorstellen, wie er in Mönchsrobe an seinem Werk arbeitet. Neben dem Tisch und dem Sessel ist außerdem als interessantestes Objekt die Kaffeekanne zu sehen, die Balzac bei seiner nächtlichen Arbeit behilflich war und die von ihm reichlich gefüllt und geleert wurde. Weiterhin sind in dem Zimmer zu sehen: Eine Büste von David d'Angers, eine Kristallvase, die ihm von einer Verehrerin geschenkt worden war und die Balzac von einer Muse gekrönt zeigt, und eine andere Muse, die "La Comédie humaine" schreibt. Weiterhin eine ziselierte goldene Uhr, die dem Schriftsteller gehörte. Die Bilder, die in verschiedenen Briefen Balzacs geschildert werden, sind leider nicht mehr vorhanden.

Im ersten Stock sind eine Ausstellung der Übersetzungen von Balzacs Werken in alle möglichen Sprachen sowie Holz- und Kupferstiche zu sehen.

Im Erdgeschoß befindet sich die Bibliothek, die die kompletten alten Originalausgaben von Balzacs "La Comédie humaine" enthält. Ferner Zeitungsausschnitte und Bücher, die am Anfang von Balzacs schriftstellerischer Karriere gedruckt worden sind. Weiterhin sind dort Fotos, Originalhandschriften, Manuskripte und Entwürfe Balzacs zu besichtigen. Außerdem sind Werke von Balzacs Zeitgenossen zu sehen.

Ein hochinteressanter Besuch in der Werkstatt eines der berühmtesten Romanciers Frankreichs. Lies mal wieder Balzac.

Frank Welkisch

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