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Macht und Einfluss der neuen Medien
Die Entwicklung der deutschen Medienlandschaft in den letzten Jahren muss einem rational denkenden Menschen beträchtliche Sorgen bereiten. Die Tendenz zum reinen Unterhaltungsmedium Fernsehen nach US-amerikanischem Vorbild kann nach dem jetzigen Stand der Dinge nicht mehr bestritten werden. Die in dieser Entwicklung liegende Gefahr kann nicht übersehen werden.
Die Frage, wie weit private Medien kontrolliert werden sollten, scheint eine große Bedeutung erhalten zu müssen. Heinrich Böll hat in einem Essay von 1979 schon vor Tendenzen nach der Privatisierung der Medienlandschaft gewarnt, denn er sah damit das kulturelle Leben, das bis dahin in den öffentlich rechtlichen Sendern gefördert wurde, gefährdet. Obwohl die privaten Fernsehsender vorerst kaum ernst genommen wurden, haben sie in der Regel die bedeutend höheren Quoten. Die Überwachung der Medien sollte nicht den Tendenzen der medialen Entwicklung unterliegen. Die Frage nach dieser Verantwortung wirft sich sehr schnell auf, wenn man versucht, die Korrelation zwischen den Medien und den Konsumenten zu untersuchen. Es erscheint äußerst schwierig zu klären, ob die Konsumenten gemäß der gesellschaftlichen Entwicklung nach Unterhaltungsprodukten nachfragen, oder ob sie durch gezieltes Marketing manipuliert werden und dem gemäß ihr Interesse induziert ist. Wahrscheinlich sind beide Faktoren daran beteiligt. Es ist schwer vorstellbar, dass Sendungen wie "Girlscamp" und "Big Brother" in den Sechziger Jahren Erfolg gehabt hätten, einer Zeit, in der Böll mit heute als selbstverständlich anerkannter Kritik an der Kirche im Buch "Ansichten eines Clowns" einen Skandal verursachen konnte. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass damals keine privaten Sender bestanden und die Kirche als Teil des öffentlichen Rechts ihre Zustimmung zu solchen Produkten schwerlich hätte geben können.
Gefährlich ist diese Kommerzialisierungstendenz mit ihren qualitativen Auswirkungen in jedem Fall, da ein nicht zu unterschätzender Druck auf den öffentlich-rechtlichen Sendern lastet. Sie müssen sich dem Wettbewerb stellen, da sie schließlich ihrer Verpflichtung gemäß dem öffentlichen Recht gerecht zu werden haben. Es entsteht ein ernstzunehmender ethischer Konflikt, da die anscheinend induzierte Nachfrage der Öffentlichkeit beinahe unmenschlich, dekadent und unmoralisch zu sein scheint. Offensichtlich ist das aber erst der Anfang.
Fraglich sind auch die Tendenzen bei Zeitungen. Eigentlich kann es schon als Problem des Systems angesehen werden, wenn Zeitungen, die regelmäßig, höchstwahrscheinlich auch bewusst, gegen den Pressekodex verstoßen, nicht angemessen bestraft werden. Die Macht, die Mediengesellschaften haben, darf nicht unterschätzt werden. Die Monopolisierungstendenz wird die Konzentration der Gesellschaften weiter erhöhen, deren Influenz wird wachsen, denn sie sind trotz des Marktkampfes in der Lage, ihre Konsumenten entscheidend zu manipulieren. Daraus erwächst bei logischer Weiterführung der Gedankens die Frage nach der Rechtfertigung der Pressefreiheit, wenn nur noch zwei oder drei Medienkonzerne die Kontrolle über sämtliche Publikationen inne haben. In diesem Falle wird dem Staat ein wichtiges Instrument genommen, um Gerechtigkeit und Wahrheit zu fördern. Was für eine Bedeutung hat die Pressefreiheit, wenn der Pressekodex nicht geachtet zu werden braucht?
Die deutschen Unterhaltungsprogramme haben einen beträchtlichen Einfluss auf das normale Alltagsleben der Öffentlichkeit. Die Unterhaltung, die geboten wird, sollte eigentlich kritischer betrachtet werden, denn Sendungen wie die Wochenshow in Sat.1, TV Total und Switch bei Pro Sieben oder auch RTL Freitag Nacht, die ein simples und beinahe identisches Schema gebrauchen, haben einen beträchtlichen Einfluss auf die das öffentliche Leben. Es werden oberflächliche und niveaulose Witze auf Kosten von Minderheiten und einzelnen Personen in der Öffentlichkeit gemacht. Nach psychologischer Überzeugung führt eine regelmäßige Beobachtung von Gewalt, ob verbal oder physiologisch, in Verbindung von Humor zu emotionaler Gleichgültigkeit, bezeichnet als "psychische Abstumpfung". Diese Entwicklung ist zweifellos nicht besonders wünschenswert, da damit eine Gesellschaft voller Egoismus gefördert wird.
Die "Nachrichten" in den privaten Sendern können eigentlich nicht mehr ernst genommen werden, da sie jeglicher Sachlichkeit entbehren und ihrer informativen Verpflichtung nicht nachkommen. Diese Tendenz ist induziert. Der Zuschauer möchte schließlich nicht mehr über das Leid der Menschen in Afrika und Südamerika nachdenken, es fehlt ihm auch das Interesse daran, denn schließlich gehört er zu der glücklichen Menge von Menschen in den Industrieländern, die existenzielle Sorgen selten kennen.
Sendungen wie Big Brother oder Girlscamp stehen im keinem Verhältnis mehr zum Rest des ethischen Verfalls. Der offene und freiwillige Voyeurismus spottet jeder Beschreibung. Es ist ekelerregend zu sehen, welche Konzept die Produzenten der privaten Sender entwickeln, wobei ihre Ziele oft sehr berechenbar sind. Es ist betrübend zu sehen, wie wenig der Mensch geachtet wird und nicht mehr als Mensch, sondern als Objekt, ob sexuell oder materiell, präsentiert wird. Der Bruch von Tabus wird von wissenschaftlicher Seite befürwortet. Kulturforscher der Europa-Universität Viadrina aus Frankfurt an der Oder behaupten, dass dadurch eine flexible Gesellschaft geformt wird, die in sich stabiler zu sein vermag.
Die Notwendigkeit, Mediengesellschaften größerer Kontrolle unterziehen, ist offensichtlich. Man scheint dabei die Schwächung eines dieser wichtigen Werbemedien und die damit eingehende verlorene Bindung der Kaufkraft der Konsumenten zu fürchten. Die Legislative sollte schärfere Gesetze verabschieden um der Entwicklung entgegen wirken zu können.
Die Schwierigkeit besteht darin, offensichtliche Manipulation und Missachtung der Menschenwürde nachzuweisen.
Welche Konsequenzen diese Entwicklung letztendlich für Kultur und Gesellschaft mit sich trägt, kann in vollem Umfang im Moment noch nicht abgesehen werden. Die Verantwortung muß aber zweifellos übernommen werden. Wir stehen am Anfang einer Veränderung des ethischen Bewusstseins und der Neuorientierung der Unterhaltung in der Gesellschaft.
 
 
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18.02.2001 |