Ein Schnellkurs in Sachen Anstand

Kommentar zu populistischen Methoden der CDU

Andre G. Nadler

Angela Merkel hat sich einen neuen Generalsekretär - relativ gleichgültig nahm man diese Neuigkeit vor einigen Monaten zur Kenntnis. Der kurze Wirbel um die Personalentscheidung hatte sich bald gelegt, wie zumeist in derartigen Fällen. Aber auch die Gleichgültigkeit fand bald ihr Ende, der neue Mann hielt, was er zuvor versprochen hatte. Mit Laurenz Meyer stieg die CDU in den Kampfanzug und ging in die Offensive. Eine populistische Aktion folgte der nächsten, jede Maßnahme der Regierung wurde gnadenlos zerrissen, man schämte sich nicht, alte, längst bekannte Geschichten aus der Vergangenheit auszugraben und nun als Skandal zu präsentieren. Dabei würde es der CDU und ihrer Glaubwürdigkeit sicherlich gut tun, das Wort Skandal vorerst aus ihrem Wortschatz zu streichen und nach dem eigenen, höchst realen Skandal nun durch eine sachliche Politik Vertrauen zurückzugewinnen.

Dieser Gedanke, der mit einer gewissen Portion gesundem, vom Anstand hervorgerufenen Schamgefühls verbunden ist, lag den CDU-Funktionären augenscheinlich fern. Mit aller Macht versuchen sie, in die Offensive zu gelangen, rufen ständig nach Ministerrücktritten, selbst wenn die aufgetretenen Probleme ihre Ursachen nicht in Fehlern der momentan Verantwortlichen haben. Das geistige Niveau der Attacken ist dabei jedoch erschreckend niedrig. Wie ist es in einem demokratischen Kulturstaat möglich, den Regierungschef visuell mit einem Verbrecher gleichzusetzen? Ist es überhaupt denkbar, dass erfahrene Politiker nicht in der Lage sind, die unmittelbaren Folgen ihres Handelns vorauszusehen? Mit persönlicher Herabsetzung des Bundeskanzlers wird auch dem Amt und mit ihm dem Ansehen des Staates schwerer Schaden zugefügt. Derartige Attacken treffen die Grundwerte unserer Demokratie, rufen Verachtung in der Bevölkerung hervor, sorgen für allgemeine Politikverdrossenheit. Für einen kurzfristigen Erfolg scheint die Führung der CDU nahezu jeden Preis zahlen zu wollen. - Dieses Verhalten zeugt nur noch von hochgradiger Verantwortungslosigkeit. Verantwortungslosigkeit ist eine Eigenschaft, die niemandem in leitender Funktion verziehen wird, kein Unternehmen kann es sich leisten, durch die Eskapaden eines einzelnen Managers seinen Erfolg aufs Spiel zu setzen. Wie sollte die Bundesrepublik Deutschland es sich leisten können, verantwortungslose Manager gleich im Dutzendpack an die wichtigsten Stellen zu setzen? Die Spitze der CDU scheint überzeugt zu sein, dass der angerichtete Schaden auf geheimnisvolle Art und Weise verschwinden wird, sobald nur erst ihr Kandidat auf dem Sessel des Bundeskanzlers sitzt.

Häufig werden in der Mitte Europas die "Amerikanischen Verhältnisse" zitiert, als Synonym für die Entartung der politischen Verhältnisse gebraucht. Wir schauen hinüber und sehen noch in zehntausend Kilometern Entfernung den Splitter im Auge Uncle Sams... der übrigens durch die Tatsache, dass sich in unseren rechten Auge ein gewaltiger Balken befindet, nicht ganz genau auszumachen ist und um einiges größer erscheint. In Amerika hat es einen harten Wahlkampf gegeben, die Kontrahenten haben sich wochenlang duelliert, doch ein exaktes Verständnis von Demokratie macht es möglich, dass das äußerste, die persönliche Diffamierung, die Entwertung der demokratischen Ideale unterbleibt. Dann steht der Sieger fest, er zeigt sich als guter Gewinner und beweist von Anfang an Größe. In Amerikas Wahlkampf geht die Schlammschlacht längst nicht so weit wie sie inmitten der Legislaturperiode in Deutschland geht. Noch fünfzig Jahre nach der Gründung unserer Demokratie können wir von Amerika lernen, - und sollten uns sehr hüten, verachtungsvoll auf die Amerikaner herabzublicken.

Frau Merkel, Herr Meyer, Herr Merz, studieren Sie vor der nächsten Attacke auf den Bundeskanzler bitte ein kleines Buch. Im Grunde reicht es, wenn Sie den ersten Satz lesen, in ihm ist der Geist des Dokumentes zusammengefasst. Er lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Um ihnen den Sinn dieses Satzes näher zu erläutern (Es scheint nötig zu sein): Man soll jeden Menschen sein Leben in Würde leben lassen. Falls Sie es vergessen haben sollten, auch der Bundeskanzler ist ein Mensch. Ist es heutzutage wirklich nötig, das Niveau der Bildzeitung noch zu unterbieten?


   
27.01.2001