Die Sünden des Prometheus
Andreas Menn
Wir hatten es uns ja immer schon irgendwie gedacht. Jetzt ist es
offiziell. Auch das Jahr 2000 war wieder das wärmste, seit Beginn der
klimatologischen Aufzeichnungen Ende des 19.Jahrhunderts. Gerade aus dem
Skiurlaub zurück, bringen die Medien wieder diese unangenemhen Prognosen
von wegen Klimawandel und Erderwärmung.
Das neue Jahrtausend hat ja ohnehin schon fabelhaft begonnen. Zuerst das
Erdbeben in Salvador. Dann die Ölkatastrophe bei den Galapagos-Inseln. Und
jetzt das: Die Vereinten Nationen warnen vor der großen Klimakatastrophe. Über 5 Grad
solls wärmer werden, und das noch in diesem Jahrhundert. Die Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt an, und die ersten Südseeinseln melden Schiffbruch. Die Folgen
klingen biblisch: Völkerwanderung, Hunger, Sturmfluten, Erdrutsche,
Insektenplagen. Bisher hatte sich alle Welt nur für den Anstieg der
dotcom-Aktien interessiert. Das 21. Jahrhundert wird den Blick auf das
Thermometer wenden.
Traurig auch: Die Alpengletscher schmelzen. Die Grenze, ab der auch es im
März noch schneesicher ist, steigt kontinuierlich nach oben. Bei der
Vierschanzentournee musste schon kräftig mit Kunstschnee nachgeholfen
werden. Den Hang im Münchener Olympiagelände haben die Veranstalter eines
Snowboardrennens auch nur mit der Schneekanone wettkampffähig bekommen.
Sieht so das Wintersportvergnügen der Zukunft aus? Eine erbärmliche Spur
weißen Artefakts inmitten grüner Hänge? Gehören Tiefschneefreuden bald der
Vergangenheit an?
Nein, behauptet der Ruhrpott. Ausgerechnet das Revier, jahrzehntelang
Einöde aus Schloten und Bergwerken, schickt sich an, ein Stück
Schneepracht der Alpen über den Winter zu retten.
Wo sich zuvörderst nutzloser Zivilisationsmüll in den Himmel türmte,
errichteten findige Investoren das Freizeitparadies des neuen
Jahrtausends. Und das sogar in zweifacher Ausführung. Bottrop und Neuss
haben den Trend erfasst: Indoor-Skiing. Pistenspaß, egal, was das Klima
macht. Es ist ein erstaunliches Phänomen, dass der Mensch immer erst eine
Halle bauen muss, um zu genießen, was die Natur so schon bietet.
Wahrscheinlich hat es auch etwas mit dem unbewussten Versuch zu tun, Gott
nachahmen zu wollen. Der Freizeittempel als Versuch, die Welt im Kleinen
nachzubauen. Indoor-Skiing als Apotheose der Globalisierung.
Ähnliches hatte schon Prometheus versucht, der alte Grieche. Zuerst täuschte er den Gottvater Zeus, indem er ihm die Innereien eines Ochsen zum Mahle vorsetzte (was uns irgendwie auch an das Problem mit dem verseuchten Rindflisch erinnern mag). Dann stahl er obendrein noch das Feuer der Sonne und schenkte es den Menschen - im hellenistischen Urverständnis die reine Blasphemie. Die Strafe der Götter war hart. Prometheus schickten sie in die Einöde und banden ihn an einen Felsen, auf dass ein Adler seine Leber zerhacke. Den Menschen aber schickte Zeus die Pandora mit all ihren Plagen und Nöten.
Dabei heißt Prometheus eigentlich "der Vorausdenkende" und Freund der Menschen. Irgendwie ist er dann wohl doch zu weit gegangen. Scheint so, dass auch wir einst den Preis unserer Überheblichkeit noch bezahlen müssen. Die Produkte unseres unstillbaren Hungers landen als BSE-Fleisch auf dem Mittagstisch. Die Konsequenzen unserer Anmaßung verdichten sich als Treibhausgas in der Stratosphäre. Wir sind gar nicht so weit davon entfernt, die Erde nach unserem Antlitz zu formen. Bloß wird das die Fratze der Verwüstung sein, und nicht das freundliche Lächeln des Mondmanns. Die Klimakatastrophe läßt sich nicht mit Vergnügunstempeln wegbauen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem auch
die Klimaanlage nichts mehr nützt. Haben wir dann Palmen in Paderborn und
das Nordseebad vor Hannover? Vielleicht.
Vielleicht auch nicht, sagen die Wissenschaftler. Denn eine weitere Folge
der Erderwärmung kann das Gegenteil bewirken: Der Abbruch des Golfstroms.
Das bedeutet den Ausfall der Zentralheizung des Kontinents. Wo sich global
das Klima erwärmt, wird Europa zur lokalen Kältekammer. Was folgt, ist
sibirische Kälte. Landwirtschaft wird dann nicht mehr möglich sein in
Europa. BSE-Kühe finden nichts mehr zu fressen.
Aber zumindest haben wir dann unseren Schnee. Und das nicht zu knapp.
 
 
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