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Fernsehstreit in Prag - ein Rückblick
Der Streit um den tschechischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender CESKA TELEVICE (CT) dauert trotz massiver Proteste von Bürgern und Journalisten immer noch an. Doch die Senderführung, der parteinahes Handeln vorgeworfen wird, war nicht bereit, den Forderungen nach einem Rücktritt nachzugeben.
Johannes Klauser
Überall in Europa verfolgen Journalisten gebannt den Streit um den tschechischen Fernsehsender CT. Dabei ist es nicht so, dass sie dort eine große Story erwartet, derer sie habhaft werden müssen, nein, es geht bei diesem Streit primär um die Belange des Journalismus selbst, um die Frage, inwieweit freie Berichterstattung von Politik und Gesellschaft abhängig sein darf. Ebenfalls wurde die Diskussion um die "Osterweiterung" der EU neu angefacht. Ist in Tschechien der Wandel eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders hin zu einem privaten, parteiabhängigem Sender - eine Privatisierung, die von Vertretern der tschechischen Oppositionspartei ODS, insbesondere des Parteichefs Vaclav Klaus, angestrebt wird, und von einer parteinahen Senderführung unter Leitung des Generaldirektors Jiri Hodac durch senderinterne "Säuberungsaktionen" in die Realität umgesetzt werden sollte - zu beobachten? Diese Aktion stellte nach Meinung einiger Politiker Tschechiens und der Journalisten Europas eine tödliche Bedrohung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und nicht zuletzt der Meinungsfreiheit innerhalb der Tschechischen Republik dar.
Die Ursachen der Diskussion über die Senderführung liegen schon relativ lange zurück, es wird seit der Trennung von der Slowakei 1992 immer wieder vermutet, dass sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen Tschechiens nicht immer eindeutig der freien Berichterstattung verschrieben habe - sozusagen ein verhaltensspezifisches "Relikt" des historischen, kommunistischen Regimes. Doch erst in den letzten Wochen erregten die Geschehnisse die Gemüter der um Wahrung auf Pressefreiheit bedachten europäischen Journalisten, nachdem es unter den Journalisten des tschechischen Senders zu massiven Streiks und in der tschechischen Bevölkerung zu Solidaritätsbekundungen mit den mit Entlassung bedrohten Journalisten gekommen ist.
Erste Tendenzen der Hinführung auf eine zu eskalieren drohende Situation lassen sich bereits Mitte 2000 erkennen. Zu diesem Zeitpunkt war Jiri Hodac, der jetzige Generaldirektor von CESKA TELEVICE, noch Nachrichtenchef des Senders. Die Tageszeitung MLADA FRONTA DNES berichtete über Unstimmigkeiten innerhalb des Senders und äußerte die Vermutung, der Sender befinde sich auf dem Weg in die politische Abhängigkeit, nachdem der Moderator einer Politdebatte nach einer Diskussion mit Vaclav Klaus wegen "Unfähigkeit, Debatten zu führen" entlassen wurde. Eine offizielle Erklärung Hodacs, der die politische Unabhängigkeit des Senders bekräftigen wollte, wurde aber vom Chefredakteur für Berichterstattung, Zdenek Samal, der die Einseitigkeit der Erklärung kritisierte, nicht zur Veröffentlichung freigegeben und führte zu dessen Rücktritt. Wie in der jetzigen Krisensituation wiederholt offenbar wurde, war die Senderführung Ziel der Kritik eines Großteils der Redakteure des Senders, die sich mit einer Petition hinter Samal stellten.
Der Rat des Tschechischen Fernsehens ernannte schließlich Jiri Hodac am 20. Dezember zum neuen Generaldirektor. Mit dieser Ernennung wurde der Weg in das bis vor Kurzem herrschende Chaos geebnet, in der Mitarbeiterschaft und bei den angestellten Journalisten regte sich heftiger Widerstand gegen Hodac, den sie als parteitreuen ODS-Anhänger mit der Aufgabe einer entsprechenden Umorientierung des Fernsehens kannten. Diese erfolgte zunächst durch das Einsetzen einer neuen Leiterin der Berichterstattung, Jana Bobosikova, die auch prompt die schon zuvor angedeuteten "Säuberungen" rigoros weiterführte und über zwanzig Mitarbeitern der Redaktion kündigen wollte. Seinen nach den Worten des Tschechischen Premiers Milos Zeman "zweiten Managerfehler" beging Hodac mit der Ernennung Jindrich Beznoskas zum Finanzdirektor des Senders. Als Stein des Anstoßes fungierten jedoch ausschließlich die angekündigten Entlassungen. Die betroffenen Redakteure sowie die Mehrzahl der nicht betroffenen Angestellten erkannten ihre Entlassungen nicht nur nicht an, sondern besetzten das Sendegebäude, um von ihnen produzierte Nachrichtensendungen auszustrahlen. Schon jetzt erklärten sich über 3000 Prager Bürger und Intellektuelle mit den protestierenden Journalisten solidarisch und demonstrierten auf dem Wenzelplatz gegen die Entlassungen.
Es begann ein heilloses Verwirrspiel um die gesendeten Sendungen des Senders, zum einen konnte man die Programme der offiziell ab dem 1. Januar streikenden Redakteure, die von Hodac und ihm treuen Untergebenen zu unterbinden versucht wurden, indem sie in eine private Funkanstalt auswichen, nachdem Versuche Hodacs, die Sendezentrale mit Polizeigewalt räumen zu lassen, gescheitert waren, und zum anderen die über das analoge Signal des privaten Senders ausgestrahlten Nachrichtensendungen empfangen. Diese Situation bestand bis über die Weihnachtsfeiertage hinweg, bis schließlich Hodac beide Programme unterband und sie abschalten ließ. Unterdessen entschied der Rat des Tschechischen Fernsehens darüber, welches der beiden ausgestrahlten Programme juristisch legal sei, und billigten endlich Hodacs Sendung als rechtmäßig. Jedoch hatte Hodac in den folgenden Tagen massive Probleme, einen halbwegs vernünftigen Nachrichtenbetrieb aufzunehmen, ihm fehlte schlicht und einfach die notwendige Technik und vor allem Redakteure. So sahen sich die Bürger Tschechiens mit von dem vorgeschriebenen Programm überhaut nicht übereinstimmenden Sendungen konfrontiert, ja es wurden zeitweise sogar einfach die Nachrichten des vergangenen Tages wiederholt.
Stattdessen versuchte Hodac, ein schnelles Ende des konkurrierenden Programms herbeizuführen, indem er die Arbeit der protestierenden Redakteure so weit, wie möglich, zu erschweren suchte. Als erste Maßnahme ließ er von Sicherheitspersonal den Weg der Journalisten von ihrer Senderaum zur hausinternen Toilette überwachen: aufs Klo durfte man, der Weg zurück blieb einem verwehrt. Von jeglichen Versorgungswegen abgeschnitten, harrten die Redakteure im Newsroom aus. Womit Hodac nicht rechnete, war die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, die den Eingeschlossenen über die Fenster mit mobilen WC-Einrichtungen und dem Lebensnotwendigsten versorgten.
Doch unterdessen schlugen alle diplomatischen und juristischen Versuche, die Situation zu entspannen, fehl. Bei den geführten Gesprächen blieben die Verantwortlichen bei ihren festgefahrenen Positionen, Hodac betonte das illegale Verhalten der Streikenden, die sich unberechtigter Weise in einem "Newsroom" aufhielten, nicht bereit, auf die Argumente der Betroffenen einzugehen, die Standpunkte anzuerkennen, welche sie aus journalistischer und moralischer Überzeugung zu ihrem Handeln veranlasste.
Die Streikenden berufen sich auf die Pressefreiheit in Bezug auf Versuche der Sendeleitung, unter politischem Einfluss missliebige Sendungen zu zensieren, und kritisieren gleichzeitig die demokratiefremden Vorgehensweisen von Senderleitung und dem Rat des Tschechischen Fernsehens, die eine Beschneidung der freien journalistischen Arbeitsweisen erst ermöglichten. Auf breite Unterstützung trafen die Journalisten im Ausland, insbesondere bei der Internationalen Journalistenföderation und dem Journalistenverband in Prag. Gerade diese forderten eine schnelle Beendigung des Streits zu Gunsten der Protestierenden und stellten fest, dass eine rasche Solidaritätsaktion der Beschäftigten aller europäischen öffentlich-rechtlichen Sender zu organisieren sei. Jedoch auch in Prag selbst kam es zu Protestkundgebungen auf dem Wenzelplatz, auf dem sich über 100000 Menschen versammelten und für die Rechte der eingeschlossenen Redakteure demonstrierten. Eine Unterschriftenaktion erbrachte über 120000 Unterschriften. Sogar der amtierende Präsident Vaclav Havel, der Held der Revolution von 1989/90, stellte sich auf ihre Seite und legte in seiner Neujahrsrede die Relevanz der unabhängigen öffentlich-rechtlichen Medien in einer demokratischen Regierung dar.
Auch von politischer Seite aus waren Versuche, zu einer Lösung zu gelangen, nicht mit Erfolg belohnt. Der ursprüngliche Initiator des Streits, Vaclav Klaus, legte zwar den Entwurf einer Kompromisslösung vor, der jedoch von den entscheidenden Gremien nicht akzeptiert wurde. Am Mittwoch, den 03. Januar, erschien schließlich ein Lichtblick der Hoffnung am Horizont: das Prager Kabinett verabschiedete eine Novelle des Fernsehgesetzes. Sie bedeutet für das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen Schritt zur weiteren Demokratisierung, indem sie in dem von den Journalisten kritisierten Punkt des Zustandekommens der personellen Zusammensetzung von Fernseh- und Rundfunkrat deutlichere Definitionen und unabhängigere Wahlen festsetzt.
Schließlich löste sich das bestehende Problem fast von selbst, als bekannt wurde, dass Jiri Hodac schwer erkrankt in ein Krankenhaus gebracht wurde. Er verkündete vor wenigen Tagen seinen Rücktritt, womit eine der Hauptforderungen der Streikenden erfüllt wurde.
Dieser Streit wühlte alle journalistischen und politischen Institutionen Europas auf, die Rolle der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, ihre Aufgaben und Ziele, sowie die Methoden zur Erfüllung eben dieser wurden wiederholt ausgiebig diskutiert. Während von Seiten der journalistischen Interessengruppen hauptsächlich auf die presserechtlichen Aspekte eingegangen wurde (s.o.), beschäftigte Politiker die Konsequenzen, welche die tschechischen Geschehnisse in Hinblick auf die Europapolitik erforderlich machten. Schließlich gehört Tschechien aufgrund seiner guten wirtschaftlichen Situation zu den Kandidaten der baldigen "Osterweiterung" der EU. Und als solcher werden jegliche Ereignisse, die direkt mit den Bedingungen für eine Osterweiterung verknüpft sind, genau beobachtet. Als Hauptbedingungen seien zum Beispiel die Entwicklungsmöglichkeiten der wirtschaftlichen Situation und, als Grundlage für die Akzeptanz europaweit wirksamer Gesetze, eine funktionierende Politik, deren Struktur entsprechend flexibel diesen Gesetzen angepasst und auch in Hinblick auf ein Zusammenwachsen Europas untergeordnet werden kann, zu nennen. Die Attraktivität der EU für Tschechien soll jedoch im Folgenden nicht näher erläutert werden, sondern es ist zunächst zu klären, inwieweit die politisch-öffentlich-medialen Ereignisse der letzten Wochen in Tschechien in Hinblick auf eine Erfüllung des Geforderten die Gewichtung der Beitrittsargumente beeinflussen.
Was in diesem Streit offensichtlich wird, ist die noch immer vorhandene Durchflechtung von Politik und öffentlichen Institutionen und nicht zuletzt der Wirtschaft durch das Gedankengut, das während der jahrzehntelangen kommunistischen Diktatur mit Hilfe der Medien propagiert und indoktriniert wurde. Es zeigt sich, dass gerade in der Medienbranche der Wandel von einer systembestimmten, abhängigen, unfreien, zensurbelasteten Institution zu einem die im modernen, an demokratisch-liberalen Ideen orientierten Europa praktizierten Pressefreiheit anerkennenden, gesellschaftsreflektierenden und vor allem freien Medienorgan von schweren Geburtswehen begleitet war. Die entsprechenden Anstalten standen vor dem Dilemma, entweder eine totale personelle Umstrukturierung vorzunehmen, oder aber die alten, durch das kommunistische Regime ideologisch vorbelasteten Redakteure in den neuen Berichterstattungsbetrieb einzugliedern. Die erste Möglichkeit hätte eine deutliche Verjüngung vor allem des Führungspersonals bedeutet, ohne im Notfall aber auf genügend angemessen geschultes Personal zurückgreifen zu können. Die zweite Möglichkeit umginge das oben geschilderte Personalproblem, hätte jedoch genau die Risiken zu Folge, die zu einer erhöhten Abhängigkeit des tschechischen Journalismus von äußeren Umständen (vor allem durch politische und wirtschaftliche Abhängigkeit) geführt hätten, was tatsächlich auch eingetreten ist. Es ist schließlich erwiesen, dass der kritisierte ehemalige CT-Direktor Jiri Hodac bereits zu Beginn des Husàk-Regimes systemgenehme Artikel veröffentlichte. Davon, dass er seine Parteigebundenheit trotz späterer BBC-Mitarbeit nicht abzulegen bereit war, zeugen am treffendsten die Geschehnisse des vergangenen halben Jahres.
Ähnlich verhält sich die bestimmende politische Elite, die zum Ende des kommunistischen Regimes die Phasen der Unsicherheit nutzte und ihre Macht und ihr Eigentum auf Grundlage des neuen demokratische Systems zu festigen wusste. Was sich veränderte, waren die Methoden, nicht aber die innersten Antriebe. Aufgrund ihrer Macht konnten sie sich weiterhin in wichtigen politischen und gesellschaftlichen Stellungen behaupten, ein ähnlicher Effekt wie in der Medienbranche war zu verzeichnen. Um ihre Macht und ihren Einflussbereich weiterhin ausbauen zu können, bedienten sie sich ausgiebig der gegebenen Möglichkeiten der politischen Absprache und nicht zuletzt der nun ermöglichten Privatisierung. Gerade letzterer Fall ist nun in Prag eingetreten: ein öffentlich-rechtliches Medium sollte, durch zwischenparteiliche Absprache gesichert, in die von wenigen Personen kontrollierbaren Bahnen einer privaten Institution - und als solche auch beliebig manipulierbar - geführt werden. Dass es sich hierbei um das öffentlich-rechtliche Fernsehen handelte, welches über mächtige Abwehrmaßnahmen verfügt, hatten die Initiatoren Vaclav Klaus und weitere Parteifunktionäre nicht bedacht. Als solches ergriff es die gebotene Möglichkeit, seinen Öffentlichkeitseinfluss geltend zu machen, der schließlich europaweit Aufsehen erregte und zu dem geschehenen Protest führte, der - zumindest nach derzeitigem Stadt - ein Scheitern der Privatisierung bewirkte; der Gesundheitszustand Hodacs dürfte hierbei nur eine ganz geringe Rolle gespielt haben. Das ursprüngliche Vorgehen von Klaus, durch Kritik an Interviews und Diskussionen (immer in Bezug auf die ausübenden Journalisten) eine Säuberung des Senders zu erreichen, Methoden, wie sie noch aus der Zeit des Kommunismus bekannt waren, kehrte sich schließlich gegen ihn selbst. Er rechnete nicht mit der großen Akzeptanz, die viele der betroffenen Redakteure in der Bevölkerung genossen, und deren Reaktion auf die Solidaritätsinitialzündung der Redakteure untereinander.
Es ist also Folgendes zu konstatieren: noch sind ideologische Überreste des kommunistischen Regimes in den wichtigen Funktionen des tschechischen Staates zu beobachten, die eine Aufnahme in die EU zu einem frühen Zeitpunkt bedenklich machen. Dies ist jedoch ein Gesichtspunkt, der für alle Länder des ehemaligen Ostblocks zutrifft, also grundsätzlicher Natur ist und in Hinblick auf die in dem Streit um das tschechische öffentlich-rechtliche Fernsehen aufgedeckten Unstimmigkeiten irrelevant ist. Was bei diesem Streit viel wichtiger ist, sind die von einem ausgeprägt entwickelten demokratischen Bewusstsein hervorgerufenen Solidaritätsaktionen und Proteste der Bevölkerung, die zeigen, dass Tschechien in gesellschaftlicher Hinsicht (zumindest in den Ballungszentren) reif für einen Beitritt in die EU ist und auch die gesellschaftsstrukturellen Bedingungen hat, eine Leistungssteigerung zu erreichen, wie sie von den traditionellen EU-Mitgliedern gefordert wird.
 
 
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14.01.2001 |