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Der Friedensprozess im Nahen Osten
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse seit der Konferenz von Camp David im Jahr 1978
Andre G. Nadler
Am 19. November 1977 begann eine erste Annäherung zwischen Israel und den Arabern, eine
Annäherung, die zwischenzeitlich soweit gedieh, dass berechtigte Hoffnung auf einen baldigen Frieden in der Region bestand. Der ägyptische Präsident Answar es-Sadat war zu einem Besuch in der israelischen Hauptstadt eingetroffen, das dreißigjährige Eis war gebrochen. Dem Besuch waren monatelange Geheimverhandlungen vorausgegangen, in denen vor allen Dingen Marokko und Rumänien eine wichtige Rolle als Vermittler gespielt hatten. Vor den Großmächten waren diese Verhandlungen geheimgehalten worden, um den Nahost-Konflikt nicht ein weiteres Mal mit der Problematik des Kalten Krieges zu vermischen.
So spektakulär die Kontakte begonnen hatten, so zäh gestalteten sich die darauf folgenden Verhandlungen über einen Friedensvertrag zwischen Israelis und Ägyptern. Im Spätsommer 1978 waren die Positionen hoffnungslos festgefahren. Man hatte sich über den Status der Westbank, die israelischen Siedlungen und den Gazastreifen nicht einigen können. In dieser Situation intervenierten die USA. Auf Einladung Jimmy Carters kamen der israelische Ministerpräsident Begin und Answar es-Sadat nach Camp David. Nach elf Tagen äußerst schwieriger Verhandlungen konnten die Delegationen der Weltöffentlichkeit zwei Rahmenabkommen vorlegen. Im ersten erkannten die beiden Staaten die Gültigkeit der UN-Sanktionen 242 und 338 als Basis für eine Lösung des Konfliktes an. Wichtiger war das zweite Abkommen, es sah den Abschluss eines Friedensvertrages, den Rückzug der Israelis aus dem Sinai und den Austausch von Botschftern vor. Das Problem der anderen besetzten Gebiete wurde vertagt, den Konfliktparteien wurden fünf Jahre eingeräumt, um über den künftigen Status der Palästinensergebiete zu verhandeln. Am 26. März 1979 unterschrieben die Regierungschefs den nach einer erneuten, drängenden amerikanischen Initiative zustande gekommenen Friedensvertrag. Es folgten der Austausch von Botschaftern und die Aufnahme normaler wirtschaftlicher Beziehungen. Bis 1982 war die Räumung der Sinaihalbinsel
abgeschlossen.
Doch schon in den ersten Jahren kam es zu Rückschlägen für den Friedensprozess. Spannungen zwischen Israel und dem Irak lösten einen Luftschlag gegen den einzigen, sich im Bau befindlichen Atomreaktor des Iraks aus, der bei dem Angriff zerstört wurde. Im selben Jahr (1981) wurde der Friedensstifter auf arabischer Seite, Answar es-Sadat, von fanatischen Moslems ermordet. Das Jahr endete versöhnlich, Ägypten und Israel unterzeichneten ein Abkommen über offene Grenzen, das die Beziehungen endgültig normalisieren sollte.
Die Aussichten auf eine weitere Fortführung des Friedensprozesses schienen gut, als andauernde Überfälle und Beschießungen vom libanesischem Territorium aus von der israelischen Regierung nicht mehr länger toleriert werden konnten. Am 6. Juni 1982 überquerten die israelischen Streitkräfte die Nordgrenze um die PLO (Palestin Liberartion Organisation) zu vernichten und im Libanon eine israelfreundliche Regierung einzusetzen. Erst im Januar 1984 begannen die Israelis mit dem Rückzug, die hochgesteckten Ziele des Feldzuges hatten sich als undurchführbar erwiesen. Die folgenden Jahre standen im Zeichen des Terrors und der Vergeltungsmaßnahmen. Unrühmlicher Höhepunkt war die Entführung des italienischen Schiffes "Achille Lauro" durch palästinensische Aktivisten und die Bombar- dierung von Arafats Hauptquartier in Tunis durch israelische Kampjets.
Im Dezember 1987 begann, was man heute als die "Erste Intifada" bezeichnet. Es handelte sich um einen Aufstand der Palästinenser gegen die Besatzung, für die nationale Freiheit. Die in technischer Hinsicht unermesslich überlegene israelische Armee schlug zurück, riegelte die besetzten Gebiete zeitweise ab, so dass vor allen Dingen Opfer unter den Palästinensern zu beklagen waren. Auch die wirtschaftlichen Folgen hatten in erster Linie die Araber zu tragen.
1988 wurde die Hamas-Charta in einer Zeit der Gewalt bekannt gegeben, ganz Palästina, unter Einschluss des Staates Israel, wurde als unveräußerliches moslemisches Eigentum (Waqf) bezeichnet. Zusammen mit der Hisbollah und dem Djihad Islami war die Hamas in den Folgejahren verantwortlich für die meisten Terrorakte auf arabischer Seite.
Erst fünf Jahre später wurden, in Norwegen als neutralem Verhandlungsterritorium, wieder die Verhandlungen aufgenommen. Das Resultat schien einen Durchbruch darzustellen, den ersten seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen Israel und Ägypten vierzehn Jahre zuvor. Im Osloer Abkommen einigte man sich auf eine Selbstverwaltung der Palästinenser und einen Rückzug in Raten der israelischen Armee aus dem Gazastreifen und der Westbank. Die religiösen Fanatiker auf beiden Seiten reagierten wütend auf die Einigung, extreme Gruppierungen beider Seiten griffen zu Terrorakten, um den Frieden zu verhindern. Weit über 50 Menschen starben bei Anschlägen und Zusammenstößen, der Auftakt zu dieser neuen Gewaltwelle war ein von einem israelischen Rechtsextremen in einer Moschee verübtes Massaker.
Vorübergehend stockten die Verhandlungen, doch am 4. Mai 1994 wurde ein bindendes Abkommen im Sinne der Osloer Prinzipienerklärung unterzeichnet. Die Belohnung für die Architekten des Friedens ließ nicht lange auf sich warten: Jitzhak Rabin, Yassir Arafat und Shimon Peres waren die Friedensnobelpreisträger des Jahres 1994. Wenige Tage nach der Verleihung des Preises am 14. Oktober unterzeichneten Israel und Jordanien einen Friedensvertrag. Gegen Ende des Jahres übergab Israel die ersten zivilen Verwaltungsressorts an die palästinensischen Autonomiebehörden.
Das Jahr 1995 brachte die ersten Verzögerungen, doch im Spätsommer wurden zwei Abkommen unterzeichnet, die einen weiteren Rückzugsschritt und die Ausdehnung der Verantwortlichkeit der Autonomiebehörde vorsahen. Im Oktober begannen die Israelis mit dem vereinbarten Rückzug. Der stockenden Friedensprozess schien wieder in Gang gekommen, als am 4. November Yitzhak Rabin, der wichtigste Mann in der Versöhnungspolitik, von drei Kugeln aus der Waffe eines jüdischen Extremisten getötet wurde. Shimon Peres übernahm sein Amt, zugleich setzte er Neuwahlen für den kommenden Mai an. Im Rückblick ist das Attentat auf Rabin als der Wendepunk im Friedensprozess zu verstehen. Bis zu seinem Tod ging die Entwicklung stetig voran. Noch eine Weile über seinen Tod hinaus wirkte, was er ausgeführt und geplant hatte. Doch der einzige Mann, der die Größe besaß, sein Erbe antreten zu können, hatte nicht seine Fortune. Es war, als ob mit seinem Tod das Glück auch seinen Mitstreiter verlassen hätte. Während des halben Jahres der Regierung Shimon Peres wurden weitere Fortschritte erzielt. Es fanden Wahlen zum palästinensischen Legislativrat statt, Arafats Fatah wurde zu stärksten Partei, er selbst zum Präsidenten der Autonomiebehörde. Der Bruch kam am 29. Mai 1996. Shimon Peres verlor die Mehrheit in der Knesset, Benjamin Netanjahu war der neue Ministerpräsident des Staates Israel. Die neue Knesset sah im Haushaltsplan für 1997 300 Mio. Dollar für den Ausbau der jüdischen Siedlungen im Westjordanland vor. Während des nächsten Jahres wurde ein Konfliktsymbol geschaffen, das in der Folgezeit große Bedeutung erlangen sollte: Mit der Siedlung Har Homa suchte die israelische Regierung den Ring jüdischer Siedlungen um Jerusalem zu schließen. Diverse ägyptische und amerikanische Vermittlungsversuche in dieser Sache blieben erfolglos.
Erst am 23. Oktober 1998 schien Bewegung in die Fronten zu kommen, man vereinbarte in Wye (USA) ein Rückzugsabkommen und Endstatusverhandlungen. Zwei Monate später stürzte das israelische Parlament Benjamin Netanjahu durch ein Misstrauensvotum. Bei den Wahlen im nächsten Mai gewann die Arbeiterpartei mit dem Ex-General Ehud Barak die Wahlen, es keimte Hoffnung auf eine Fortsetzung des Friedensprozesses. Noch im selben Jahr wurden weitere 7% des Westjordanlandes an die Palästinenser übergeben, Israel ließ nun auch verstärkt arabische Gefangene frei. Andererseits wurden die Bauarbeiten in Har Homa vorangetrieben, was zu neuen Verstimmungen führte. Im Dezember kam es zu direkten israelisch-syrischen Verhandlungen über ein Friedensabkommen, die jedoch an der Golan-Frage scheiterten.
Das vergangene Jahr brachte die Krise des schleppenden Friedensprozesses, wobei unter Krise sowohl Möglichkeit als auch Gefahr verstanden werden müssen. Zum ersten Mal gab es direkte Verhandlungen über den zukünftigen Status der Westbank und des Gazastreifens. Drei Verhandlungsrunden ( 20.-27. März, 6.-16. April, 30.April bis 12. Mai) blieben jedoch ergebnislos. Nach dem Scheitern der Verhandlungen lud Bill Clinton die beiden Partein nach Camp David, in Analogie zu der Handlungsweise seines Vorgängers Carter. Durch die bevorstehenden Wahlen und das damit verbundene Ende seiner Amtszeit geschwächt, vermochte er jedoch nicht, Barak und Arafat zu einer Einigung zu zwingen. Ein letztes Angebot der Israelis, bei einer weiteren Verhandlungsrunde in Paris vorgelegt, wurde von den Palästinensern verworfen, obwohl es im Vergleich zu den vorherigen Offerten Zugeständnisse in bedeutendem Ausmaß vorsah. Den Palästinensern wurde ein Staat angeboten, der seine Hauptstadt in Ostjerusalem haben und 88% der Westbank umfassen sollte. Arafat reiste ab.
Auf dieses vorerst letzte Angebot folgte der Besuch des israelischen Verteidigungsministers auf dem Tempelberg und die Al-Aksa-Intifada. Die Zeiten des Konflikts scheinen zurückgekehrt zu sein. In dieser Situation scheint sich Barak zu einem beispiellosen politischen Hasardspiel entschlossen zu haben. Er trat zurück und lotete gleichzeitig die Möglichkeit neuer Verhandlungen aus. Sollte es ihm gelingen, mit Yassir Arafat zu einer Einigung zu kommen, könnte er die nächsten Wahlen zu einer Abstimmung über den Frieden machen - in der momentanen Situation geht er selbst damit ein hohes Risiko ein. Für den Fall, dass Baraks Rechnung nicht aufgehen sollte, dürfte ein Frieden in der Region auf Jahre hinaus unmöglich sein.
 
 
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14.01.2001 |