Zwischen Krieg und Frieden

Im Nahen Osten bietet sich eine letzte Chance zur Verständigung. Ein Ministerpräsident Ariel Sharon wird Arafat ein solches Angebot wohl nicht machen

Andre G. Nadler

Der scheidende amerikanische Präsident Bill Clinton forciert zum Ende seiner Amtszeit noch einmal die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern. Entgegen aller Unkenrufe der internationalen Presse ist der Zeitpunkt geschickt gewählt, seine Initiative wird wohl mehr bezwecken, als sich ein Denkmal in der Geschichte zu verschaffen. Die Verhandlungspartner sind geschwächt, Barak durch die Herausforderung Ariel Sharons, die er nur mit einem unterschriebenen Friedensabkommen abwehren kann, Arafat durch die Aussicht, bald mit einem israelischen Ministerpräsidenten verhandeln zu müssen, der weitaus weniger zu Kompromissen aufgelegt sein wird als seine Vorgänger. Diese Aussichten müßten die Bereitschaft der Verhandlungspartner, Kompromisse zu schließen deutlich wachsen lassen - sie würde sie zumindest wachsen lassen, wenn es sich um europäische oder amerikanische Staatsmänner handeln würde. Im Nahen Osten werden durch solche Konstellationen Kompromisse möglich, im Gegensatz zu westlichen Ländern wäre es jedoch naiv, mit ihnen zu rechnen.

Der amerikanische Vorschlag ist ein Kompromiss, wie man ihn überall im Westen machen und akzeptieren würde. Israel verzichtet auf Ansprüche auf den größten Teil des Westjordanlandes, nur 5%, Gebiete, in denen die meisten jüdischen Siedlungen situiert sind, werden annektiert. Gemessen an den Kosten des letzten Krieges ist das für den überlegenen Sieger ein überaus bescheidener Landgewinn. Diesem israelischen Verzicht auf das Vae Victis soll der palästinensische Verzicht auf die Rückkehr der Flüchtlinge entsprechen. Für Jerusalem wird eine relativ komplizierte Lösung des Souveränitätsproblems vorgeschlagen, mit geteilten Hoheitsrechten im wichtigsten Teil der Stadt, dem Tempelberg. Jeder Europäer oder Amerikaner wird diese Vorschläge als vernünftige Verhandlungsgrundlage bezeichnen, um den Schein zu wahren, würde er an der Stelle der Kontrahenten noch ein wenig demonstrativ verhandeln, Änderungen in kleinen Detailfragen zu seinen Gunsten durchsetzten und diese Änderungen als großen Erfolg verkünden. Im Grunde wäre man sich jedoch von Anfang an einig, den gemachten Vorschlag zu akzeptieren.

Im Nahen Osten gibt es diese Verhandlungskultur nicht. Die Positionen sind festgefahren, beruhen übrigens auf historisch, religiös und nationalistisch motivierten Absolutansprüchen. Dazu kommt die Fanatisierung breiter Kreise in beiden Lagern, die jeden Kompromiss als Verrat ansehen. Auf diese Kreise, auch auf die stürmischen Emotionen der restlichen Bevölkerung haben die Spitzenleute beider Lager Rücksicht zu nehmen. Keine Seite darf ein historisch begründetes Recht der anderen über eigene Ansprüche stellen. Auch für einen Außenstehenden ist eine Abwägung in diesem delikaten Bereich extrem schwer, da ein westliche Beobachter emotional zumeist auf der Seite der Israelis stehen dürfte. Seine Religion hat ihre Wurzeln im Judentum, viele Bürger des Staates Israel stammen aus Europa.

Das Recht der Juden ist sicherlich das ältere, es ist ein religiös begründetes Recht der Eroberung, das gestützt wird durch die Prophezeihung der Rückkehr. Ihm gegenüber steht ein ebenfalls religiös gestütztes Eroberungsrecht der Araber, das jüngeren Datums ist (aber immerhin auch schon mehr als 1000 Jahre existiert) In neuerer Zeit hat es den Teilungsplan der UN gegeben, der von arabischer Seite nicht akzeptiert wurde, da man die jüdische Siedlung im heiligen Land nicht anerkennen mochte. Die resultierenden Auseinandersetzungen gingen sämtlich für die Araber verloren, so dass im Sinne Macciavellis das Recht des Siegers für die Israelis spricht. Diesen Vorteil scheinen die Israelis aufgeben zu können - aber nicht vollständig. Immerhin akzeptieren sie die Palästinenser als gleichwertige Verhandlungpartner, was in ihrer Lage nicht selbstverständlich ist. An dieser Stelle setzt der amerikanische Vermittlungsvorschlag ein. Die Israelis verzichten auf die Früchte des Sieges, erhalten aber von den Palästinensern einer Garantie für die Stabilität ihres Staates. Nichts anderes ist der Verzicht auf die Rückkehr der Flüchtlinge. Vier Millionen Palästineneser haben auf dem Gebiet des heutigen Israel gewohnt. Ihre Rückkehr würde den Zusammenbruch der israelischen Wirtschaft bedeuten und ein enormes Konflikt- und Unsicherheitspotential schaffen. Man darf nicht vergessen: Diese Menschen haben mehr als zwanzig Jahre in Lagern verbracht, viele sind zu einem fanatischen Haß auf den Staat Israel gelangt. Ihre Rückkehr würde eine Situation schaffen, in der Hamas und Konsorten über die innere Lage des Staates Israel entscheiden könnten. Es wäre in ihre Macht gegeben, Israel in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Dieses Szenario wird der israelischen Regierung bewusst sein, nie wird sie in eine Rückkehr der Flüchtlinge einwilligen können. Auf jedem anderen Gebiet scheint sie bereit zu sein Konzessionen zu machen, nur in dieser Lebensfrage ihres Staates nicht. Diese Haltung ist verständlich und gerechtfertigt, wenn man beiden Parteien das Recht zur Wahrung des eigenen Interesses zuspricht. Alles liegt an Arafat und der Fatah. Werden sie in der Lage sein, das Interesse ihres eigenen Volkes höher zu stellen als das eigene? Derartige Angebote wird Ariel Sharon nicht machen, ihn kennen die Araber, spätestens seit dem Sechstagekrieg. Das Projekt eines palästinensischen Staates in naher Zukunft ist realisierbar, aber nur, wenn Arafat auf die Rückkehr der Flüchtlinge verzichtet.

Die Umstände machen es ihm nicht leicht. Sein Volk erwartet von ihm, dass er auch in diesem Punkt seine Position durchdrückt. Seine arabischen Brüder erwarten es von ihm, immer haben sie mit viel Pathos das Recht auf Rückkehr verfochten, wenn auch ihre Motive zuweilen nicht die lautersten waren. Sie wollen die ungebetenen Gäste loswerden, je ehrenhafter, desto besser. Geschieht es gar freiwillig und auf moralisch zu rechtfertigender Basis, so stehen sie in der Weltöffentlichkeit als hehre Verfechter der Gerechtigkeit dar, die durch ihre Unnachgiebigkeit einem Volk zu seiner Heimat verholfen haben. Nimmt Arafat diesen Kompromiss mit dem Verzicht auf die Rückkehr der Flüchtlinge an, so kann er sicher sein, in der arabischen Welt viel an Rückhalt zu verlieren, der junge palästinensische Staat wäre seiner natürlichen Verbündeten zumindest teilweise beraubt und gezwungen, sich nach Westen zu orientieren.

Derartig von vitalen Interessen abhängige Positionen machen das Verhandeln nicht einfach, da Israel die Rückkehr der Flüchtlinge nicht akzeptieren wird, ist Arafat gezwungen auf anderen Gebieten größmöglichsten Erfolg zu haben. Auf dem territorialen Sektor ist es ihm gelungen, der wirtschaftliche wird vermutlich noch eine Rolle spielen. Ein eventuell erfolgversprechender Vorschlag wäre, Ansiedlungsprogramme in der Westbank für die Flüchtlinge zu starten, die von Israel und den westlichen Nationen finanziell unterstützt würden. Auf diese Weise könnte auch der Unmut der arabischen Anrainer gemildert werden. Wahrscheinlich ist ein solches Szenario nicht - auch wenn es den Vorteil der Zweckmäßigkeit für sich hätte. Vermutlich wird Arafat nicht über seinen Schatten springen können, es wird sehr viel von ihm verlangt. Verzicht auf Ansprüche, die emotional untermauert sind ist selten und immer von hohen Kosten begleitet. Arafat riskiert im Falle einer Zustimmung, die Führerschaft im palästinensischen Lager zu verlieren.

Es bleibt noch das Fazit zu ziehen, das traurig genug ausfällt: Es spricht wenig genug für einen Frieden in Nahost, zu groß sind die mit ihm verbundenen Risiken für beide Seiten. Zu groß sind die beiderseitigen Bereiche, die für nicht verhandelbar erklärt werden. Wahrscheinlich ist eine neue Konfrontation, die viel Leid vor allen Dingen für die Palästinenser mit sich bringen wird. Ariel Sharon wird nach Lage der Dinge den Versuch unternehmen, den Konflikt gewaltsam zu lösen, unter Einsatz aller Mittel. Sein Wahlsieg kann nicht im Interesse der Verhandelnden sein, eventuell werden noch in letzter Minute Rettungsversuche für den Friedensprozess unternommen werden, die jedoch aufgrund mangelnder Vorbereitung vermutlich das wahrscheinliche Schicksal der amerikanischen Initiative teilen werden.


   
14.01.2001