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Die Diskussion um die Sterbehilfe
In der Diskussion über die aktive Sterbehilfe kann es kein einfaches
Ergebnis geben. In diesem Konflikt zwischen dem Recht auf Leben (der Pflicht zu
leben) und dem Prinzip der Selbstbestimmung spielen zu viele Aspekte eine
Rolle. Daher wollen wir zu einem Meinungsaustausch auf unseren Seiten
aufrufen, der vorliegende Artikel soll dazu dienen Denkanstöße zu geben.
Schreiben sie uns Ihre Meinung!
Andre G. Nadler
Seit einigen Tagen ist in den Niederlanden aktive Sterbehilfe legalisiert. Sie ist an strenge Regeln geknüpft - so muss der Patient seinen Wunsch bei Bewusstsein mehrfach geäußert haben und seine Krankheit von ärztlicher Seite als unheilbar und unerträglich eingestuft sein.
Trotz dieser Einschränkungen handelt es sich bei der aktiven Sterbehilfe um einen Tötungsakt zumindest im weiteren Sinne. Zu klären, in wieweit die letztendliche Verantwortung beim Arzt oder beim Patienten liegt, ist einem einzelnen nicht möglich. Durch eine geplante Handlung wird ein Mensch vom Leben zum Tod gebracht. Dieser Punkt muss immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden, um die ethische Konsequenz des Geschehenen zu erfassen.
Neuerdings betrachtet man auch die Umstände, wobei unter den bereits erwähnten Bedingungen das Prinzip der Unversehrbarkeit jeglichen bewussten oder einstmals bewussten Lebens hinter dasjenige der Vermeidung unsäglichen Leidens zurücktreten lassen.
Zwei ethische Prinzipien prallen aufeinander. Nachdem der Konflikt einmal geschaffen ist, beginnen auch andere Argumente in der Debatte Wirkung zu zeigen. Finanzielle Erwägungen spielen eine Rolle, halb- und unterbewusst beginnen einige Leute sich zu fragen ob es sich denn lohne, einen Neunzigjährigen zu operieren, der ohnehin einige Monate später sterben werde... Man muss sehr achtgeben, kein Argument zu verwenden, dass dieser Art zu denken Vorschub leistet. (Die Argumentation wird oft zu polemisierend geführt, so dass differenzierte Überlegungen sogleich mißverstanden werden) Es handelt sich um eine ethische Diskussion, soweit sie ethisch ist, muss sie ausführlich geführt werden - unterdrückte Themen haben die Tendenz, eine gefährliche Virulenz zu entwickeln.
Jegliches Kosten-Nutzen-Denken muss jedoch herausgehalten werden aus einer Debatte, die eine Neubestimmung der menschliche Lebenswerte anstößt.
Die Thematik droht stets, in der Sackgasse des Dogmatischen zu enden. Ein Betrachtung aus den Perspektiven der unmittelbar Beteiligten vermag Argumente ins Spiel zu bringen, deren
Brisanz ansonsten nicht zum Tragen kommt.
Es ist sinnvoll, zunächst den zu erwartenden ethischen Konflikt des Handelnden, des Arztes zu thematisieren. Seine Rolle ist die bei weitem schwierigste im Trauerspiel eines Todkranken, der sich nach Erlösung sehnt. Immer wird er gezwungen sein, seine Entscheidung aufgrund einer Interpretation des Krankheitsbildes zu treffen. Hundertprozentige Sicherheit gibt es auch in der modernen Medizin nicht.
Der größte Unsicherheitsfaktor ist jedoch die eindeutige Feststellung des Krankenwillens. Wieweit kann man den Todeswunsch des Kranken oder gar des Hirngeschädigten Relevanz zuschreiben? Hegen wir nicht alle in Extremsituationen extreme Wünsche, die wir später aber nicht mehr nachvollziehen können? Wie ist Mündigkeit zu definieren, wenn ein Mensch von einer Krankheit zermartert und verändert wird?
Somit hat der Arzt nur begründete Vermutungen, aber keine Fakten zur Verfügung, wenn es gilt, eine Entscheidung zu treffen, die keinen Spielraum für Kompromisse läßt. Er kann sie nur einseitig fällen - oder versuchen vor ihr zu fliehen und sie einem anderen aufbürden. Damit aber verläßt er den Boden ethischer Prinzipien, indem er einem Mitmenschen aufbürdet, was er selbst nicht erträgt. Auch in der Flucht ist noch Verantwortung: Die ausgeschlagene Möglichkeit anders zu entscheiden, macht verantwortlich für das Ergebnis.
Letzlich ist eine Entscheidung zu treffen zwischen der Bürde eines direkten Todesurteils und der eines indirekten, das verbunden ist mit unendlichem Leid - das aber immer noch Raum läßt für den letzten Hoffnungsrest, der erst mit dem Tod eines Menschen verschwindet.
Zwei unterschiedliche Verantwortungen:
Ist es vertretbar, einen Patienten ein ums andere Mal zu retten vor einem Tod, der ihm als Erlösung erscheinen muss? Ist es vertretbar, einen Menschen mit geblähtem Kopf, mit versickerndem Bewusstsein, mit aufgetriebenem Bauch, mit aufgeschnittener Luftröhre und einem in den Schnitt geschobenen Schlauch, mit einem Schlauch auch im Magen, einen Menschen, der unter folternden Schmerzen leidet, durch immer furchtbarere letzte Wochen und Monate zu zerren, die ihm höllenhaft erscheinen müssen? Andrerseits - kann man einen Menschen töten? Kann man damit mit dem Bewusstsein, ein Leben beendet zu haben leben? Kann man mit dem bohrenden "Vielleicht" leben, jenem bohrenden "Vielleicht", das Nahrung erhält durch all die Wunder, von denen die Zeitungen so voll sind? Kann man sich über den Willen des Patienten im Klaren sein? Ist es möglich, sicher zu sein, dass man in jedem Fall nur ausführendes Organ dieses Willens ist? In jedem Fall, bei jeder Entscheidung wird der Arzt von Zweifeln heimgesucht werden, die einem um die rechte Ethik ringenden Individuum kaum zuzumuten sind. Es stellt sich die Frage, ob die Gewissensnöte des Arztes Einfluss haben dürfen in einer Debatte, die klären soll, was unter dem Wohl der Kranken im eigentlichen Sinn zu verstehen ist. Es ist viel von den Ärzten, der Gesellschaft und ihren zu erwartenden Problemen mit der aktiven Sterbehilfe die Rede gewesen. Vor allen Dingen geht das Thema jedoch die Leidenden an. Sie sind es die die Entscheidung der Gesellschaft letzten Endes tragen, die sterben können oder leidend leben. Es ist schwer, die ethische Verantwortlichkeit für den absoluten Wert des Lebens auch von Todkranken zu fordern. Es ist im Prinzip unmöglich, einem solchen Menschen die Kraft abzuverlangen, sich vom subjektiven Leiden geistig zu lösen und ethische Betrachtungen anzustellen - selbst wenn er eine unwiederrufbare Entscheidung zu treffen hat, eine Entscheidung, deren ethische, religiöse und philosophische Brisanz offensichtlich ist.
Ein solches Fordern nach Verantwortlichkeit hieße jedoch, das Leiden des Kranken für gering und überwindbar zu erachten, überwindbar bis hin zu dem Augenblick, an dem auch die größte ärztliche Kunst versagt.
Andererseits ist in unserer Kultur der Selbstmord geächtet, selbst die größten Pessimisten lehren uns zu leben bis zum letzten Augenblick. Unversöhnt mit seinem Tode und begierig zu leben stirbt auch der absurde Mensch. Es ist die Zusammenfasung einer Idee, die Camus in seinem Sisyphos ausgeführt hat Dürfen wir also, verhaftet unserer Kultur und geistigem Herkommen, deren konsequent lebensbejahender Anspruch nie in Frage gestellt wird, einem Menschen den Selbstmord erlauben, ihm dazu noch eine helfende Hand reichen?
Dem absoluten Anspruch der Philosophie steht ein Bild gegenüber von einem Menschen, dessen Universum längst nur noch aus Not und Schmerzen in einem ewig gleichen kleinen Raum besteht. Ein erschütterndes Bild, das von Tag zu Tag furchtbarer wird - darf die Furchtbarkeit dazu dienen, die schrecklichsten Szenen auszulöschen, wegzuradieren?
Vielschichtig ist das besprochene Problem schon auf pesönlicher Ebene; der gegebene kurze Abriss stellt nur eine Grundlage für eine Diskussion dar, er wirft Fragen auf, ohne zu antworten, streift einige Punkte nur, ist durch seine Kürze unvermeidlicherweise oberflächlich, eine ausfühliche Darstellung würde jedoch den Rahmen des Artikels sprengen. Erst eine in einer allgemeinen Diskussion gebildete Meinung darf den Anspruch haben, auf die Frage nach der ethischen Berechtigung der aktiven Strebehilfe Antwort zu geben. Ein gesellschaftlich relevanter Aspekt muss allerdings noch erwähnt werden, bevor diese Einführung in das Thema beendet ist und die - hoffentlich folgende - Diskussion in den kommenden Ausgaben eröffnet wird.
Gemeint ist die Frage nach der Wertigkeit des Lebens in seinem Verlauf. Einen großen Einschnitt hat es bereits gegeben: Die Zulassung der Abtreibung. Damit wurde die Lebensqualität der Mutter höher eingeschätzt als das noch unbewusste Leben des Ungeborenen. Das bewusste Leben wurde in seinem Wert dadurch nicht gemindert, objektiv wurde seine Wertigkeit eher noch erhöht. Das Leben an sich verlor an Wert. Die Zulassung aktiver Sterbehilfe zerstört den absoluten Wert bewussten Lebens und verschiebt ihn in den
Bereich des Variablen. Damit wird das im eigentlichen Sinne wertvolle und unverletzliche Leben weiter eingeengt. Es beginnt erst mit der Geburt und endet schon im Angesicht des Todes. Die Gefahr einer weiteren Einengung steht mit diesem Schritt als Menetekel am
Horizont.
 
 
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3.Ausgabe_17.12.2000 |