Casino

Eine interessante Episode

Ricardo Franca


Durch die Büsche im Park des exclusiven Hotels am Fluß schien ein flackerndes Licht. Falls einer der Gäste auf die Idee gekommen wäre, im Park zu flanieren, hätte er sich ob dieses ungewöhnlichen Lichtes wohl gewundert. Hätte er darüber hinaus neugierig seine Schritte vom Weg abgelenkt und dem Lichtschein nachgespürt, wäre er von einer gewissen Verwunderung sicher nicht verschont geblieben. Hart am Ufer des Flusses, halb noch im verschilften Wasser, lagen zwei Kajaks, auf einem freien, mit Gras bewachsenen Fleck war ein Zelt aufgeschlagen, vor dem ein Feuer brannte.

Rund um die Flammen herum saßen einige junge Leute, die sich unter Zuhilfenahme einer Gitarre eifrig bemühten, aus ihrem Ausflug einen romantischen Mittsommernachts- Traum zu machen.

Indessen suchte nicht einer der zahlreichen Gäste die Erfrischung der lauen Nacht, daher blieben die Jugendlichen auch weiterhin in Unkenntnis über den Ort, an dem sie gelandet waren. Das änderte sich erst, als zwei Mitglieder der Gruppe erklärten, einen kleinen Weg machen zu wollen, um die vom Paddeln und Sitzen verspannten Muskeln aufzulockern.

Fast mechanisch griff der junge Mann in seinen Rucksack, und zog eine Brieftasche hervor, was ihm einen belustigten Blick seiner Begleiterin eintrug. Trotz, oder gerade wegen dieses Blickes schob er ihn nicht zurück, sein Widerwille war geweckt, und er steckte ihn zu sich. Das Mädchen lachte ob dieses Eigensinnes, schob den Arm unter den ihres schon versöhnten Gefährten und gemeinsam gingen sie durch eine Lücke im Buschwerk. Ihr Erstaunen war nicht gering, als sie sich anstatt in der zu erwartenden Wildnis in einem zierlichen Park wiederfanden, der einen luxuriösen, fast schon pompösen Bau umgab, der vermutlich um die Jahrhundertwende herum aufgeführt worden war. Doch schon in der nächsten Sekunde trat die kultivierte Abenteuerlust des modernen Menschen an die Stelle der Verwunderung, sie erinnerten sich daran, das Hotel auf der Karte gesehen zu haben, waren aber bisher der Meinung gewesen, ein gutes Stück über den Ort hinausgelangt zu sein, an dem es auch heute noch steht. Der Irrtum war insofern verständlich, als es auf der Strecke zwischen der Stadt und dem einsam gelegenen Hotel an Landmarken mangelt, oder vielmehr: Man sieht die Landmarken aufgrund des an die drei Meter hohen Schilfbewuchses an den Ufern des schmalen Flusses nicht. Nun ist das Hotel mit seinem Park so eingerichtet, dass man letzteren nur erreicht, wenn man durch das Gebäude hindurchgeht, wer also zu später Stunde vom Park aus das Haus betritt, wird unbedingt für einen Gast gehalten und nicht im mindesten durch Fragen belästigt. -

Daher ist es nicht verwunderlich, dass niemand Anstoss an den beiden nahm, als sie das Gebäude durch einen Eingang betraten, der etwas seitlich des rückwärtigen Hauptportals zu finden ist. Der Anblick eines Portiers vor dem größeren Eingang mag unbewusst dazu beigetragen haben - wenn es auch den beiden nicht an der Frechheit gefehlt haben dürfte, mit hoch erhobenem Kopf an ihm vorbeizugehen. Wahrscheinlich hätten sie ihn sogar in herablassender Manier gegrüßt und huldvoll den devoten Gegengruß entgegengenommen.

So aber befanden sie sich einige Schritte weit in einem großen Saal und schauten stehend, erneut verwundert, dem lebhaften Treiben zu. Kartentische waren zu erkennen, diverse Spielchen von Blackjack bis Poker wurden gemacht, die Gäste drängten sich, um einen der begehrten Plätze am Tisch zu erlangen, so dass es zuweilen vorkam, dass die Spieler zwei oder drei enggequetschte Reihen bildeten. An den Wänden standen die bekannten Automaten, vor ihnen die Spieler, die sich nicht einmal die Mühe machten, die Jetons aus dem silbernen Auffang- behälter in die bereitgehaltene Leinentasche zu räumen. Wahllos giffen sie nach unten und stopften die Plastikscheibchen in die dafür vorgesehenen Schlitze, achteten nicht darauf, welches Ergebnis das Ziehen des Hebels zeitigte, griffen nur, stopften und zogen. Dann und wann griff einer von ihnen ins Leere, seine Fingernägel schabten hörbar krampfhaft über das versilberte Blech und Entäuschung malte sich auf seinem Gesicht, darüber, dass die so oft wiederholte Bewegungsabfolge des Stopfens, Ziehens und Greifens ihn für diesen Abend ruiniert hatte. Entäuschung wohl auch darüber, dass ihm sein Suchtmittel genommen worden war. Zögernd wandte er sich dann nach der dem bekannten Eingang gegenüberliegenden Tür und verschwand.

All diese Schauspiele wurden von einem übertroffen, dem am Roulettetisch gebotenen. Wo an anderen Tischen sich nur zwei Reihen gebildet hatten, waren es hier fünf, wo an andern Tischen die Menschen sich bei allen Quetschen doch einen gewissen Abstand gewahrt hatten, waren hier alle Abstands- wie Anstandsregeln außer Kraft gesetzt. Man verschaffte sich Platz, verwendete den Ellenbogen, auch die Körpermasse, um durch geziehlte Stöße sich Raum zu verschaffen. Auch waren die Einsätze hier wesentlich höher, es wurde nicht gesprochen, sondern geschrien.

Über dem ganzen Saal aber lag der Geruch menschlichen Schweißes. Und wirklich, wenn man genau beobachtete, so fand man feuchte Flecken in den Achselhöhlen und Kniekehlen, auch die Haut der Anwesenden glänzte, obwohl der Raum angenehm temperiert war. Unser Pärchen wurde abrupt aus seinem Betrachten gerissen. "Jetons gefällig?" Ein schneller Blickwechsel, ein kurzes Zucken der Schultern, dann zog der Jüngling sein Portmonaie aus der Tasche, um für hundert Mark von dem vor ihm stehenden Angestellten des Betriebes Spielmarken zu erstehen. "Viel Glück", damit war der Verkäufer auch schon verschwunden, auf der Suche nach dem nächsten Unschlüssigen. Die beiden teilten sich die Marken und strebten dem Roulette zu.

Es kostete sie allein zwanzig Minuten, um in die Lage zu kommen, ihre Marken zu platzieren. Nahezu gleichzeitig kamen sie dank beständiger gegenseitiger Hilfesstellung in der ersten Reihe an, mussten sich jedoch eine Weile gedulden, da die Kugel gerade durch das Rad lief. "Vingt et un!" Der Croupier schob mit seinem Verteilstab die Gewinne zu und langte das Verlorene zu sich heran. Zum Setzten musste er nicht auffordern, wenn er es dennoch tat, gingen seinen Worte in den erregten Kommentaren der Spieler unter. Die Jetons klapperten, einige fielen auf den Boden, als zitternde Finger nach ihnen griffen. Niemand kümmerte sich darum. Die beiden setzten, der Junge auf Schwarz, das Mädchen auf Rot. Rot kam. Sie ließ den Einsatz stehen, erneut sauste die Kugel durch das Rad.

"Rouge" Zweihundert Mark lagen vor ihr, die Hälfte schob sie ihrem Begleiter zu, der sie in einem Anfall wilder Risikobereitschaft auf Zero weiterbewegte.
Zero kam.

Ein wildes Flackern leuchtete jetzt in ihern Augen auf, als beinahe viertausend Mark vor ihnen lagen, hektisch setzten sie jetzt die Marken, streuten sie auf dem Tisch aus, gewannen und verloren, dachten nicht mehr, zogen zu keiner Zeit mehr in Betracht, aufzuhören, auch nicht, als die Jetonsäulchen vor ihnen schon beträchtliche Höhen erreicht hatten. Die Haare hingen ihnen wirr im Gesicht, strähnig vor Schweiß, die Stimmen waren tonlos geworden vom beständigen Schreien.-

"Einmal noch" krächzte der Jüngling mit vor Gier heiserer Stimme, schob den ganzen Haufen auf eine Farbe, während die Kugel lief, spürte er die Hand des Mädchens in seiner...doch die Kugel blieb an einer Stelle des Rades hängen, die weder schwarz noch rot, sondern grün war. "Die Bank gewinnt." Betäubt wandten sie sich ab, bahnten sich ihren Weg durch das Geschnatter und standen mit einem Mal in der lauen Luft des Parks. Auch später wußte weder die eine noch der andere zu sagen, wie sie dorthin gelangt waren. Einmal zu sich gekommen, lenkten sie ihre Schritte zum Ufer hin, bevor sie aber das Lager erreichten, schauten sie sich an und wußten: Noch nie hatten sie so intensiv gelebt.

Es waren alles in allem nur eineinhalb Stunden vergangen.

   


3.Ausgabe_17.12.2000