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Frau Merkel, übernehmen Sie!
Über die Ironie in der Debatte zur "Leitkultur"
Andre G Nadler
Da ist eine Partei, von ihrem politischen Wiedersacher in die Ecke gedrängt, noch immer im Schatten des großen Übervaters von einst.
Da ist ein Führungsduo, das voller Energie antrat, in den Kampfanzug stieg, sich zu weit vorwagte und grausam abgewatscht wurde.
Ein unbequemes Dasein als Dauertrophäen in des Kanzlers Siegeszeichen-Galerie wollten sie nicht führen und holten verständlicherweise zum Gegenschlag aus. Ebenso verständlich ist es, dass man sich für die Offensive ein Gebiet auswählte, auf dem man ohne große Anstrengung, quasi wie von selbst, im politischen Boxkampf punkten kann, in der Vergangenheit auch schon fleißig gepuktet hat.
Dies ist das Umfeld, in dem die "Deutsche Leitkutur" geboren wurde, an der sich in Zukunft das Leben von alteingesessenen und neu zugewanderten Bürgern zu orientieren habe.
An dieser Stelle möchte ich einen kleinen Exkurs einflechten, der Leser möge nicht ungehalten über die Unterbrechung dieser erbaulichen Geschichte sein, die Erläuterungen dienen der Klärung der Begrifflichkeit und somit dem besseren Verständnis.
Beginnen muss ich mit der Frage nach der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes "Kultur", nach dem was es im gemeinem Verständnis
umschließt. Das ist doch ganz klar, werden Sie mir das Wort abschneiden und an meiner Stelle antworten: Kultur, das ist Sprache, Literatur, Kunst, Ideale, kurz die Lebensart einer Nation, nein eines Kulturkreises, denn kein vernünftiger Mensch wird in unserem aufgeklärten Zeitalter einen Unterschied machen zwischen deutscher und französischer Kultur.-
Ich werde respektvoll ob ihrer treffenden Definition nicken und nicht auf die Idee kommen, Ihnen zu wiedersprechen, da sich unsere Auffasungen über die Bedeutung des erwähnten Begriffes entsprechen. Verbunden ist dieser Begriff mit der Silbe "Leit", die man in solch schönen Wörtern wie "leiten", "anleiten", oder auch
"Leitung" finden kann. (Jedes dieser Worte enthält in gewissem Maße
den Anspruch auf Überlegenheit, daher entbehrt die Verbindung zur Kultur durchaus nicht einer gewissen Pikanterie...).
Soweit die linguistische Untersuchung des Wortes "Leitkultur", die an dieser Stelle nicht allzusehr ins Detail gehen darf, um nicht auszuschweifen und den roten Faden nicht zu verlieren. Ich will daher
die auf der Hand liegenden Schlüsse ziehen und so mit der anfänglichen Betrachtung fortfahren. "By putting things together" bleibt nur eine Bedeutung für den verwendeten Begriff übrig: Einwanderer haben sich in ihrer persönlichen Lebensführung an dem zu orientieren, was "Deutsche Kultur" ausmacht, haben sich quasi von ihm anleiten zu lassen. Das wiederum bedeutet, wenn man das oben
erhaltene Ergebnis in Rechnung zieht, dass Einwanderer gefälligst auf ihre Art zu leben zu verzichten haben und ebenfalls zu Bier und Weißwurst greifen sollten.
Ich möchte an dieser Stelle nicht darauf eingehen, dass die Verbindung zwischen "deutsch" und "Kultur" ein Paradoxon ist, auch
in der konservativen Art zu denken, die vor Bekenntnissen zu "Europa" wimmelt. Eine weitere Vefolgung dieses Gedankens würde jedoch zu Allgemeinplätzen und Trivialitäten führen, denen ich Sie dann doch nicht aussetzten dürfte.
Wie auch immer, das brilliante Duo hätte die Konsequenzen seines
Handelns eigentlich voraussehen müssen: Der an Klarheit kaum zu überbietende Begriff rief die zu erwartende Schelte hervor, man hatte sich wieder einmal eine Blöße gegeben und sah sich gezwungen, eiligst zurückzurudern, da es moralisch nicht anging, die offensichtliche Bedeutung des Begriffes in aller Schärfe aufrechtzuerhalten. Um der ungemütlichen Stellung am rechten Flügel zu entkommen, wurde schleunigst ein Papier entworfen, worin dem einmal geschaffenen Begriff ein neues Image verpasst wurde. "Deutsche Leitkultur" bedeutet neuerdings nur, dass ein Einwanderer die Verfassung zu respektieren hat und Deutsch sprechen sollte.
Im Grunde genommen ist diese Definition unserer Kultur - denn um die handelt es sich ja offensichtlich - eine Beleidigung. Nicht, dass ich etwas gegen die formulierten Einwanderungsbedingungen hätte, ich halte sie für angemessen. Mir aber weismachen zu wollen, dass in meinem Land Kultur nur in Form von Sprache und Gesetzen vorliege, muss ich als Frechheit bezeichnen.
Ich möchte die Sache aber nicht allzu ernst nehmen und unter der Rubrik "unfreiwillige Komik der Notwendigkeit" ablegen. Da wir einmal beim Possenspiel sind: Zwei Tage, nachdem die Strategie des
schnellen Rückzuges angewendet wurde, fühlte man sich wieder gerüstet zum Gegenschlag; die komplette Linke (SPD und Grüne)
verrate das Vaterland, weil es seine Lebenslüge einer multikulturellen
Gesellschaft nicht aufgeben wolle.
Bravo, kann man da nur rufen, das ist aber wieder mal eine originelle Aussage. Solche Sprüche haben gerade noch gefehlt, um den Regierungswechsel unabwendbar zu machen. -
Meine verehrten Spitzen jener verehrten Partei im Kampfanzug mit dem Säbel in der Hand, wie sollte die Linke denn nicht den Traum
einer multikulturellen Gesellschaft hegen, da sie doch in einem Land
lebt, in dem Kultur nur aus Sprache und Gesetzen besteht. Spüren sie denn nicht, wie nötig ein solches Land ein bisschen Farbe hat?
Von den Rängen rauscht der Beifall für diese gelungenste aller
Komödien; Olé!
Fortsetzung folgt, Frau Merkel, übernehmen Sie!
 
 
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3.Ausgabe_17.12.2000 |