Neue transatlantische Beziehungen

Europa sinnt über seine Zukunft nach, die Frage der Osterweiterung beschäftigt die Politik, und auch gesellschaftliche Umbrüche ungekannten Ausmaßes nehmen ihren Lauf. Europa wird erwachsen, und ist sich nicht sicher, wie es damit umgehen soll. Vor allem das Verhältnis zu den USA bedarf einer Neuorientierung, der kleine Bruder mausert sich längst zum ebenbürdigen Partner. Wie sieht das Verhältnis zu Amerika in der Zukunft aus?

Andre G. Nadler


Ich möchte einen neulich in der "Welt" erschienenen Artikel des Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizäcker zum Anlass nehmen, die Frage der künftigen Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zu behandeln.

Beginnend mit einer Beschreibung der Entwicklung des transatlantischen Verhältnisses während der letzten fünfzig Jahre, kommt von Weizäcker zu der Feststellung, dass Amerika trotz der gewachsenen Bedeutung Europas durch seine einzigartige Stellung in der Welt "niemandem untertan und nur sich selbst verpflichtet" sei. Daraus resultiere die Sorge der Europäer vor amerikanischen Alleingängen und der Versuch zu einer "Art von Gleich-berechtigung" zu gelangen. Im weiteren Verlauf räumt von Weizäcker ein, dass selbst diese m.E. bescheidenen Versuche zu amerikanischem Argwohn und der Befürchtung geführt hätten, das Ziel Europas sei die "Emanzipation" - man beachte die Verwendung ausgerechnet dieses Begriffes.

Trotz dieser Feststellung plädiert von Weizäcker für einen verständnisvollen Kurs, nicht die Emanzipation, sondern eine ausgewogene Verteilung von Rechten und Pflichten müsse das Ziel sein. Abschließend gibt er unserer Politik den guten Rat: "Wir Europäer tun gut daran, auf manche gelegentlich anmaßend wirkenden aber verständlichen Empfindlichkeiten der Amerikaner vernünftige Rücksicht zu nehmen."

Sein Artikel ist rücksichtsvoll, man muss es zugeben. Schonender hätte man nicht anklingen lassen können, dass man gedenkt in den eigenen Angelegenheiten zu einer gewissen Selbsständigkeit zu gelangen.- Die kritiklose Übernahme amerikanischer Positionen "Wenn die Krise ernst ist, wird es eine unabhängige europäische Reaktion nicht geben, gibt es sie aber, wird die Krise nicht ernst sein" ist dann nur noch ein Mosaiksteinchen, das sich nahtlos in das Bild eines Artikels einfügt, in dem ein die andauernde amerikanische Suprematie anerkennender Politiker den schüchternen Versuch unternimmt, den führenden Männern Amerikas den Gedanken nahezubringen, Europa statt der vorenthaltenen realen doch zumindest eine scheinbare Gleichwertigkeit zuzugestehen.

Bei aller persönlichen Hochachtung für den ehemaligen Bundespräsidenten drängt sich die Frage auf, wie er sich Gleichberechtigung vorstellt, wenn Europa nur in "kleinen" Krisen zu unabhängigem Handeln in der Lage sein soll, die Handlungen der USA aber auch weiterhin in jedem Fall aus eigener Machtvollkommenheit erfolgen. Eine solche Situation wäre eine wohl kaum spürbare, in jedem Fall aber unwesentliche Veränderung des jetzigen Zustandes, in dem die europäischen Regierungen der amerikanischen Außenpolitik in jeder Schwenkung zu folgen haben wie eine Kompanie Soldaten dem Offizier. Welche Krise in der heutigen Welt erhält denn auch den Status "nicht ernst"? Doch nur eine Krise der Art, in der ohnehin niemand intervenieren möchte, etwa ein Bürgerkrieg in Afrika.

Als Europäer muss man konstatieren: Ein unwürdiger Zustand für diesen Kontinent und seine Bevölkerung. Als Bewohner des Westens: Ein unvernünftiger Zustand. Es liegt auf der Hand, dass das westliche Bündniss wieder herausgefordert werden wird, die Anwärter auf die Gegenposition stehen schon in den Startlöchern. Dann werden Europa und Amerika wieder ihre ganze Kraft brauchen, um die einmal gewonnene Position zu halten. In Europa ist ein gewaltiges Potential vorhanden, demjenigen Amerikas ebenbürtig, nur möchten die Amerikaner es nicht aktiviert sehen, aus keinem anderen Grund als - verletzter Eitelkeit. Eitelkeit, ich kann mir nicht helfen, wird nicht durch Nachgiebigkeit und "vernünftige Rücksicht" geheilt. Es ist an uns Europäern, zu erkennen, dass Washington über kurz oder lang einen starken, gleichrangigen Partner braucht, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.

Dieser Partner kann nur ein Vereinigtes Europa mit einer gemeinsamen Außenpolitik und Armee sein, wobei die europäische Streitmacht sich an Größe und Schlagkraft der amerikanischen orientieren sollte, sie aber nicht unbedingt erreichen muss.

Das beschlossene EU-Korps muss als erster Schritt zum Aufbau einer europäischen Fähigkeit im Krisenmanagment, zu einer zukünftigen Abeitsteilung hin verstanden werden.

Aber auch ein derart geeintes und "emanzipiertes" Europa wird noch immer eine "special relationship" zu den Vereinigten Staaten benötigen, genau in dem Maße, in dem Amerika mehr und mehr auf Europa angewiesen sein wird, um weiter auf dem Weg voranzuschreiten, dessen Ziel Wilson einst formuliert hat: "to make the world safe for democracy". In diesem Ziel stimme ich mit Richard von Weizäcker wieder überein.

   
3.Ausgabe_17.12.2000