Warum die Kontinente zusammenwachsen

Die Verschmelzung der Kulturen zu einer Weltgesellschaft steht langsam, aber sicher bevor. Wie kam es zu dieser Entwicklung? Wo liegen die Chancen, wo die Gefahren?

Andreas Menn


Seit einigen Jahren ist der Begriff "Globalisierung" in aller Munde. Er umschreibt einen vielfältigen Prozess ökonomischen, politischen und kulturellen Wandels, der den Großteil der Menschheit in nie gekannter Geschwindigkeit erfasst. Entscheidendes Charakteristikum dieses Prozesses ist die Tatsache, dass Entscheidungen und Handlungsmuster in allen drei genannten Bereichen nicht mehr wie bisher auf rein nationaler Ebene mehr oder weniger autonom getroffen und entwickelt werden, sondern vermehrt anhand internationaler Kriterien und unter Berücksichtigung des Verhältnisses des jeweiligen Entscheidungsträgers zu anderen Staaten, Kulturkreisen und deren Normen getroffen werden. Damit verbunden ist, dass sich die Handlungsmuster mehr und mehr auf internationaler Ebene angleichen, was zu der Herausentwicklung einer immer größeren Zahl international gültiger Konventionen führt.

Vorreiter im Prozess der Globalisierung ist die Ökonomie. Im Rahmen der Ausweitung der Absatzmärkte über nationale Grenzen hinaus haben die Konzerne schon längst den Weltmarkt geschaffen, der keine wesentlichen nationalen Barrieren mehr kennt. Die Vermarktungsstrategien internationalisieren sich. Dabei globalisiert sich sowohl der Verkauf der Waren, als auch deren Herstellung. Produktions- und Vertriebsstandorte werden über den Globus verteilt. Das hat für die Produzenten gleich mehrere Vorteile: Erstens können in der Auswahl der verschieden Länder Standortvorteile verglichen werden und so die für die Produktion günstigsten Faktorkombinationen gewählt werden (Steuern, Lohnnebenkosten, Umweltauflagen,...). Zudem lässt sich die Fabrikation nun in die Nähe des jeweiligen Absatzmarktes verlegen, was die Transportkosten erheblich minimieren kann.

Großkonzerne sind also ständig darauf bedacht, ihren Einflussbereich auszuweiten, um den Umsatz zu vergrößern und den Gewinn zu maximieren. Das führt in logischer Konsequenz zu einer Erhöhung des Konkurrenzdrucks. Die Marktteilnehmer sind gezwungen, mit den Vorreitern mitzuhalten, um langfristig ihren Marktanteil halten zu können. Dabei haben größere Konzerne auch bessere Chancen, da sie mit ihrem stärkeren Kapital und ihrer entwickelteren und meist auch vielfältigeren Infrastruktur mehr Handlungsspielraum haben und dadurch auf dem internationalen Markt bevorteilt sind. Die Folge: Mehr und mehr Konzerne fusionieren. Daraus entstehen Großkonzerne, die teilweise über mehr Kapital verfügen als ganze Volkswirtschaften.

Diese Ballung ökonomischer Macht schränkt die politischen Spielräume ein. Wo sich globale Konzerne ihre Standorte frei nach Belieben aussuchen können, bleibt die Politik bislang versplittert und national begrenzt. Damit entwickelt sich nun auch eine Konkurrenz zwischen Nationen um die Gunst der Ökonomie. Das kann einzelne politische Entscheidungen maßgeblich beeinflussen. So spielen Konzerne häufig einzelne Staaten gegeneinander aus. Immer öfter bestimmen wirtschaftliche Erfordernisse über politisch-gesellschaftliche Interessen. Die Politik fürchtet längst um ihre Entscheidungsfreiräume. Dieser Entwicklung kann sie kaum begegnen, da sie aus den vielfältigsten außenpolitischen und kulturellen Gründen noch fest an die nationalen Grenzen gebunden ist. Fest steht: Politik machen heißt schon heute viel zu oft reagieren als regieren. Das Primat der Politik steht in den industrialisierten Nationen in ernstem Zweifel.

Schneller scheinen da die ihr zugrunde liegenden Gesellschaften zu reagieren. Besonders das Internet ermöglichte in den letzen Jahren eine rasante Annäherung der Kulturen über die Kontinente hinweg. Die Kommunikation über den Globus hinweg ist innerhalb von Sekundenbruchteilen möglich. Damit entstehen völlig neue Perspektiven der Verständigung, die dem einzelnen nie gekannte Möglichkeiten eröffnen. Gerade über das Internet können die Menschen nun ihre Interessen, Meinungen und Informationen austauschen. Die perfekt organisierten Prosteste der NGOs bei der WTO-Konferenz in Seattle und jüngst in Prag ließen zum ersten Mal die Stärke dieser außerparlamentarischen Interessenvertretungen erkennen. Die dort gezeigte Flexibilität und Mobilität gehören zu den neuen Freiheiten und Möglichkeiten des Individuums. Daraus entwickeln sich bislang ungekannte Aussichten für die persönliche Entwicklung und die berufliche Karriere.

Aus anderem Blickwinkel betrachtet erscheinen diese Chancen als neue Verpflichtungen. Sie gelten nämlich nicht nur im Bereich der interkulturellen Kommunikation, sondern viel mehr auch auf dem Arbeitsmarkt. Wer nicht bereit ist, für seine neue Arbeitsstelle unkonventionelle Arbeitszeiten, weite Fahrtwege oder gar eine Verlegung des Wohnorts in Kauf zu nehmen, muss damit rechnen, dass der potentielle Arbeitgeber andere Bewerber vorzieht. Der Konkurrenzdruck steigt also auch auf dem Arbeitsmarkt. Zudem ist es dem Arbeitgeber durch seine freie internationale Standortwahl möglich, die Kürzung von Sozialleistungen durchzusetzen. In den USA zeigt sich das in Form einer Flut von niedrigqualifizierten Billigjobs und der Herausbildung einer neuen Schicht der "working poor", die trotz Arbeit häufig nicht genügend finanzielle Kapazitäten haben, um in befriedigendem Maße am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Der Rationalisierungsdruck verleitet die Konzerne zum Abbau von Arbeitsplätzen. Dem persönlichen Aufstieg kann sehr schnell der tiefe Fall folgen. Die soziale Mobilität ist gewachsen. Wer einmal am unteren Ende der Gehaltsskala angelangt ist, hat oftmals Probleme mit dem Wiedereinstieg.

Globalisierungskritiker sehen darin bereits die Wiederkehr der Klassengesellschaft. Die herrschende Klasse bilden diejenigen, die teilhaben am Kapital der wachsenden Märkte der Globalisierungsgewinner. Es sind die Shareholder, die Aktien besitzen und über die wichtigen Informationen verfügen. Für den Rest der Menschheit blieben dann nur die restlichen Tätigkeiten der niedrigqualifizierten Dienstleistung übrig. Manche behaupten gar, dass ein Großteil der globalisierten Weltgesellschaft zukünftig überhaupt nicht mehr arbeiten müsse, da die Maschinisierung der Arbeitsvorgänge nur noch wenige erfordere, die die Systeme überwachen. Alle anderen würden mit finanziellen Spritzen und gleichgeschalteter Unterhaltung auf unterem Niveau zufrieden gehalten ("tittytainment"). Das System von Brot und Spiele sehen einige bereits in der Welle von Talkshows und der Angleichung der Lebensstile nach dem Vorbild der USA entstehen. Tatsächlich fällt die weltweite Verbreitung amerikanischer Vermarktungsprinzipien deutlich ins Augenlicht. Kaum ein Land, in dem es nicht in jeder größeren Stadt längst McDonald's - Filialen gibt. In Japan isst man vermehrt lieber Weißbrot als den traditionellen Reis, auch wenn es aufwändig importiert werden muss. Gehen damit langsam ganze Kulturen verloren?

Die Zukunft ist ungewiss. Fest steht, dass die Politik reagieren muss, um mit der rapiden wirtschaftlichen Globalisierung Schritt zu halten. Es müssen internationale Gremien gebildet werden, die die entstehende Weltgesellschaft wirksam regieren können.

Die Gefahren der Individualisierung dürfen nicht zu sozialer Verarmung großer Bevölkerungsteile führen. Außerdem darf der westliche Lebensstil nicht den anderer Gesellschaften ausradieren. Die weniger entwickelten Länder haben genauso bedeutsame kulturelle Merkmale entwickelt, deren Verschwinden einen unbeschreiblichen Verlust darstellen würde.

Insgesamt öffnet die Globalisierung einen ganz neuen Horizont für die Menschheit im allgemeinen und auch für jeden einzelnen. Es ist auch die Aufgabe des einzelnen, dafür zu sorgen, dass dabei die neuen Möglichkeiten für ein friedliches und konstruktives Miteinander der verschiedenen Welten so weit wie möglich ausgeschöpft werden.

   


3.Ausgabe_17.12.2000