Schwarzfahren ist ungesund

Warum man besser doch zum Fahrkartenautomaten gehen sollte...

Andreas Menn


Es ist im Grunde immer das selbe. Man sitzt in der Straßenbahn, unruhig, weil man beim Einsteigen wieder einmal nicht der Versuchung entgehen konnte, den Fahrscheinautomaten großzügig zu übersehen und auf Kosten der Allgemeinheit schwarzzufahren. Nicht, dass dem Leser in pauschalem Urteil irgendwelche asozialen Verhaltensgewohnheiten unterstellt werden sollen, aber gehen wir einfach einmal davon aus... Manchmal verhält man sich wider die eigene Überzeugung. Oder man ist Überzeugungstäter, was wir hier natürlich erst recht nicht unterstützen wollen.

Wie dem auch sei, man sitzt in der Straßenbahn und hat keinen Fahrschein. Erst geht ja alles gut. Zwar beäugt man alle, die dazu steigen, mit argwöhnischen Blicken, ob nicht ein Kontrolleur dabei ist. Doch so auffällig unauffällig sich die meisten auch benehmen, am Ende sind es dann doch ganz normale Fahrgäste. Glück gehabt.

Man wird also gelassener, sitzt inzwischen etwas ruhiger, weil fünf Stationen lang nichts geschehen ist, außer, dass die Bahn mal wieder völlig unsinnig zehn Minuten lang auf freier Strecke still stand, als könne sich der Fahrer nicht ganz für eine Fahrtrichtung entscheiden. Also alles normal. Das Abenteuer scheint überstanden. Gerade will man aufstehen, um schon mal zur Tür zu gehen, weil man die nächste Station zum Aussteigen auserkoren hat, da passiert es dann.

Irgendwoher kommt plötzlich dieser Spruch, jener eine Satz, den ein Kontrolleur in der Grundausbildung wahrscheinlich fünfzig mal am Tag aufsagen muß: "Darf ich mal bitte ihren Fahrschein sehen?"

Da hilft es jetzt natürlich nicht, mit einem Nein zu antworten. Man ist ja auch noch gar nicht gefragt, drei Reihen weiter wird kontrolliert. Sinnloserweise beginnt man, in Panik in irgendwelchen Taschen herumzugraben, von denen man aber genau weiß, dass sie einem in dieser Situation nicht im Geringsten weiter helfen können, weil es die eigenen sind. Die kindische Hoffnung, es noch bis zur nächsten Station zu schaffen und schnell auszusteigen, ist natürlich vergebens, weil die Kontrolleure ein beachtliches Timing haben, dem keiner entkommen kann. Man steht also im Gang und schämt sich, und der Kontrolleur kommt, stellt seine Frage, was eigentlich gar nicht nötig ist, weil man ja schon mitgekriegt hat, dass er einem keine Zeitungen verkaufen will, und man antwortet kleinlaut, dass man nichts vorzuzeigen hat.

Es gibt natürlich Kandidaten, die es in ihrer Verzeiflung mit skuriller Rafinnesse versuchen. Sie zeigen erst einmal keck den Videotheksausweiß vor, können sich dann aber auch nur leicht wundern, dass der Kontrolleur darauf nicht reinfällt. Kontrolleur sein heißt acht Stunden täglich für dumm verkauft zu werden. Das führt im Laufe der Jahre zwingend dazu, dass man in diesem Job entweder ein unglaublich starkes Nervenkostüm oder ein unglaublich schwaches Menschenbild herausbildet.

Die Bahn hält. Wie geplant steigt man aus. Unplanmäßig hat man zwei Leute im Gefolge. Die Personalien werden aufgenommen, die Leute schauen, und das einzige, was einem bleibt, ist, in bar zu bezahlen, damit man sich zumindest die unliebsame Post erspart, und man erhält eine Quittung für ein erhöhtes Beförderungsgeld.

Um die Stimmung aufzulockern, versucht man noch einen kleinen Scherz, und fragt, ob man das auch von der Steuer abziehen könne, aber der Humor ist, wie man schnell merkt, fehl am Platze. Die gute Laune ist endgültig verflossen.

Man hats ja auch verdient. Trotzdem macht man sich verärgert seine Gedanken: Anderswo wäre man gar nicht erst in Versuchung gekommen. In Paris zum Beispiel. Da ist die Metro lückenlos mit elektronischen Sperren versehen. Drüberklettern macht das Verbrechen sichtbar. Oder noch besser: London. Da hat jede Station zusätzlich noch mindestens eine Wachperson, die die Überwachung perfekt macht. Damit wirklich keiner schwach wird.

Und Wien. Von dort ist ein Projekt bekannt, das auch einen interessanten Ansatz bietet, der aber irgendwie in eine etwas andere Richtung weist. Hier gibt es eine Organisation, die gegen das Erwischtwerden versichert. Man zahlt einen Monatsbeitrag, und kann sich seine Bußgelder im Gegenzug auszahlen lassen. Der Österreicher scheint da eine gewisse subtile Progressivität zu entwickeln.

Vielleicht sollte man direkt eine gesetzliche Pauschale einrichten, so dass dann jeder Fahren kann, so oft er will. Studenten sind damit ja schon vertraut. Die können schon mal nicht mehr schwarzfahren...

Und das ist gut so. Denn Schwarzfahren ist nicht nur unsozial, sondern auch ungesund. Nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für den Täter selbst. Der muss mit ernsten gesundheitlichen Folgen rechnen. Das zeigte sich neulich mal wieder in Köln. Da ist jetzt ein Mann bei der Kontrolle gestorben. Zuerst griff er die Kontrolleure an, dann sich ans Herz, und er kippte um.

Er hätte sich vorher ans Herz fassen und lieber eine Monatskarte kaufen sollen. Sein Hausarzt hätte das bestätigen können...

   


3.Ausgabe_17.12.2000