Tempel der Dienstleistungskultur

Der Flughafen Stansted in der Nähe von London nutzt alle Finessen der technischen Moderne, um den Kunden zu gefallen

Andreas Menn


Der Flughafen Stansted ist wie ein großes Spielzeug, das irgend jemand in den Feldern draußen vor den Toren Londons abgesetzt hat, und durch das jeder einmal durch muss, wenn er mit dem FLugzeug kommt und in die Stadt will. Lichtdurchflutet und mit gläsernen Fassaden reichlich transparent gehalten, birgt der Airport in seinem Innern eine wohlgefällige Fülle an Schaustücken der modernen Dienstleistungskultur. Er ist ein Tempel der modernen Technik, in dem das Dogma des bedingungslosen Komforts in ungewöhnlichem Maße zelebriert wird.

Gebaut wurde das Prunkstück, man hätte es sich beinahe denken können, von "Foster and Partners", der Gesellschaft, die vor allem in England schon Dutzende anderer Großprojekte realisiert hat. Zu den letzten Projekten des Stararchitekten Norman Foster gehörten auch die Neugestaltung des Berliner Reichstagsgebäudes, Hong Kongs internationaler Flughafen "Chek Lap Kok" und die Londoner Millenniumbridge, die allerdings wegen statischer Schwächen mehr repariert als begangen wird.

Stansted ist ein weiteres Beispiel für den typischen Stil, der Fosters Projekte eint. Der matt silberne Stahl bildet gleichsam futiristische und ästhetische Formen. Dazwischen sorgt viel Glas für den richtigen Durchblick. Fosters Gebäude sind hell und geprägt vom Leitmotiv der Transparenz. Der Architekt möchte auf diese Weise eine dynamische Verbindung zur Umgebung schaffen.

Stansted kommt dementsprechend auch mit vielen großzügigen Oberlichtern daher, die einen großen Teil des benötigten Lichts spendieren. Dem Weg in den Himmel soll nichts entgegen stehen. Foster and Partners beschreiben ihr Konzept so: "The Stansted terminal design has the twin aim of eliminating the labyrinthine complexity of the modern airport while at the same time providing an architectural celebration of air travel. Flying should, in every sense, be an uplifting experience."

Mehr als vier Jahre hat der Bau gedauert, 1991 wurde der Flughafen eröffnet. Seitdem ist er neben Heathrow und London City Airport der dritte große Airport für die britische Metropole. Allerdings ist er auch am weitesten von der City entfernt. Über 50 Kilometer sind es bis dort, eine Dreiviertelstunde Zugfahrt. Da braucht es schon ein gelungenes Konzept, um den Passagieren auch Stansted schmackhaft zu machen. Deshalb hat man hier auf nichts verzichtet, was der Bequemlichkeit der Kunden entgegenkommt. Foster sieht seine Aufgabe in der Aufstellung eines reibungslosen Bewegungskonzepts. "The guiding principle at Stansted has been to ensure that movement through the building is straight, unimpeded and on one level."

Sicher gelandet, werden die Fluggäste durch ein System von Gängen und Rolltreppen geschleust, die ihn zu seinem Gepäck führen sollen. Den Weg von den einzelnen "Gates" am Rollfeld zum Hauptgebäude verkürzt ihnen dabei eine eigene vollautomatische Flughafenbahn, die führerlos zwischen den Terminals hin und her geistert. Sind die Fluggäste eingestiegen, schließen sich die automatischen Türen, und die Fahrt geht los. Weite Fensterscheiben geben den Blick frei in einen hell erleuchteten Tunnel, durch den die Bahn uns Ungewisse rollt. Beklemmung kommt hier nicht auf, denn alle 50 Meter ist ein Notausgang eingerichet. Die Sicherheit wird dermaßen betont, dass es schon beinahe lächerlich erscheint. Zum Schmunzeln regt auch die elektronische Durchsage an, die gewissermaßen den Fahrer ersetzt, und die in Form einer sanften Frauenstimme wichtige Hinweise preisgibt: "Please hold tight", heißt es, wenn die Bahn eine Kurve fährt, und am Hauptterminal erfährt man: "This is the main terminal!". Für die, die es sich nicht schon gedacht haben...

Und was halten die Passagiere von der High-Tech-Anlage? "Das nervt", sagt ein Manager, der alle zwei Wochen geschäftlich nach London fliegen muss. "Beim City-Airport ging das alles viel schneller. Da steigt man aus dem Flugzeug und ist direkt in London." Wer aber von Köln oder Düsseldorf aus nach London City fliegen will, ist schlecht bedient. Dorthin gehen nur Flüge von Mönchengladbach oder Frankfurt aus. Für Buisiness-Kunden aus dem Kölner Raum ein inakzeptabler Umweg.

Aber Stansted bietet das selbe Problem. Wer vom Flughafen aus nach London will, hat noch die Zugfahrt zurückzulegen. Und die kostet auch noch einmal 12 Pfund. Für manche ist das zuviel Umstand.

Auch hier hat Stansted auf die Methoden heutiger Convienience-Kultur zurückgegriffen. Der Zug nach London hält direkt am Hauptterminal im Untergeschoss. Der "Stansted-Express" hat eine eigene Linie, eigene Mitarbeiter und eigene Tarife. Eine Fahrt mit der Rolltreppe, und schon steht man am Bahnsteig. Tickets gibts am Automaten, aber trotzdem gehen die meisten an den einzigen geöffneten Schalter. Schlange stehen muss sein. Vielleicht sehnt man sich auch ganz unbewusst nach persönlicher Bedienung von Mensch zu Mensch, nach so viel anonymer Technik...

Also stellt man sich hinten an. Doch bevor man sich über lange Wartezeiten beschweren kann, kommen wie aus dem Nichts drohnenartig hilfsbereite Stansted-Mitarbeiterinnen angeschwärmt und verkaufen den Wartenden Tickets. Service wo man hinschaut.

Auf dem Bahnsteig kann man dann noch einen Blick in das ausliegende Hochglanzfaltblatt werfen. Auf dessen Cover ist eine vorgebliche Stansted-Mitarbeiterin abgebildet, die aber eher aussieht wie eine Leihgabe des Chanel-Model-Pools. Die junge Dame fönt sich die glänzenden Haare. Daneben der Spruch: "We're getting ready for you!" Innen erfährt man, dass alle Mitarbeiterinnen "hochqualifiziert" sind und ohne Frage die Sprache des Kunden sprechen.

Bevor man dann aber auf den Gedanken kommt, wie es wäre, wenn eine sich die Haare fönende Standsted-Lady vorbeikäme, und ob man dann die Gelegenheit nutzen sollte, ihre mongolischen Sprachkenntnisse auf die Probe zu stellen, kommt auch schon der Zug. Man steigt ein und ist schon bald auf dem Weg zur Liverpool Station, London...

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3.Ausgabe_17.12.2000