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Vom Sinn und Nutzen der Technik
Technik hat ihre Tücken - eine satirische Beobachtung aus dem Büroalltag
Andreas Menn
„Alles Unnatürliche ist Unvollkommen“, sagt ein französisches
Sprichwort. Dazu ist natürlich zu bemerken, daß manches Unnatürliche
unvollkommener ist als Anderes. Es gibt auch Dinge, die sind vollkommen
unvollkommen. Das Unnatürliche dabei ist: Sie stehen meist dort, wo
sie am stärksten gebraucht werden.
Zum Beispiel auf den zugigen Fluren verstaubter Verwaltungsgebäude.
Oder den modernen Gängen transparenter Bürotempel. In beiden
Fällen handelt es sich um Horte einer Erfindung, wie sie die
Natur mit Sicherheit nicht hervorgebracht hätte. Sie gehört zu
den anschaulichsten Beispielen für unsere Problematik und heißt:
„Kopierer“.
Der Geselle, der diese Innovation auf die Menschheit losgelassen hat,
war ganz bestimmt Sadist. Ein gewissenloser Misanthrop, der mit eisigem
Kalkül eine Maschine baute, die dem Charakter des Unnatürlichen
mit Absicht bedrohlich nahe kommt. Denn derart Unvollkommenes hat man selten
gesehen, jetzt mal abgesehen vom versehentlichen Blick in den morgendlichen
Spiegel. Groß wie ein Kleinwagen, sperrig wie ein Kleiderschrank,
blockiert das Gerät meist den halben Gang und provoziert allein deshalb
schon die Mißgunst des Betrachters.
Entscheidend aber ist die funktionelle Schwäche dieser Erfindung.
Man suche, so lange man wolle, man findet todsicher nicht ein Büro,
in dem es ein vollkommen funktionstüchtiges Kopiergerät gibt.
Kopierer haben immer Macken. Mal drucken sie zu hell, mal zu dunkel, mal
zu groß, mal zu klein. Meistens aber drucken sie gar nicht.
Und so bilden sich in den Fluren der Bürohäuser auf aller
Welt alltäglich große Gruppen, die sich in spontanem Teamwork
vereint haben, um konkrete Probleme ihres Kopierers zu diskutieren („zu
beheben“ wäre in diesem Zusammenhang eine Wortwahl blinden Optimismus).
Staunend scharen sich technisch unversierte, aber um so ratschlagkräftigere
Sachbearbeiter und Sekretärinnen, Putzhilfen und Praktikanten um das
Gerät, das mal wieder beharrlich den Dienst verweigert, für den
ein entrückter Geist es einst erfand.
Statt dessen spuckt es häufig spontan und ohne erkennbaren Anlaß
ebenso unerkennbare Textneurosen aus, wie sie selbst der erfahrenste Beamte
nicht aufs Papier gekleckert bekäme.
„Hast du gesehen, was der hier gerade gemacht hat?“, fragt dann üblicherweise
ein Verblüffter am einen Ende des streikenden Klotzes. Am anderen
Ende hat man gewöhnlich kein Auge für die mysteriösen Ereignisse
dort hinten, weil man sich der rationalen Problemlösung verschrieben
hat. Konkret äußert sich das in mehr oder weniger gezielten
Tastendrücken.
Erste Pläne zur Gründung einer Selbsthilfegruppe werden geschmiedet.
Den wesentlichen Ungereimtheiten wird lautstark Ausdruck verliehen. „Wie
soll man denn so arbeiten? Wie kann man sich nur auf so eine dumme Blechkiste
verlassen? Ich hab’ den doch noch nie ohne irgendein Blinken gesehen!“
Und hier liegt nun - nicht gleich für jeden auf anhieb erkennbar
– der erste Schritt auf dem von Fehldrucken übersäten Weg zur
Sachlichkeit. Denn gerade dieses Blinken kann von großem Nutzen sein.
Wenn man Zeit hat.
Der moderne Kopierer von heute ist weit weniger introvertiert und hoffnungslos
verklemmt, als man gemeinhin annimmt. Man muss seine optischen Äußerungen
nur zu deuten wissen. Denn moderne Technik hat eigene Problemlösungsinstanzen.
Wenn es zum Beispiel heißt, Fehler J 91 sei aufgetreten, dann muß
man nur noch nachschauen, was das bedeutet, und schon weiß man, wo’s
klemmt. Meistens ist das dann der Aufruf: „Toner nachfüllen!“, oder:
„Papierstau beheben!“: Jetzt muß man bloß die richtige Klappe
finden, an der es staut, und schon ist das Problem erledigt. Der neuzeitliche
Kopierer zeigt seine Defekte also schon von selbst an. Die Fehler sind
quasi direkt im Gerät mit eingebaut. Das ist Fortschritt!
Nun haben moderne Kopierer mindestens zwei Dutzend dieser Zufuhrfächer.
Diese so pompöse wie lächerliche Reichhaltigkeit hätte seinerzeit
sicher ein sehr passendes Anschauungsbeispiel für Galbraiths These
der Überflussgesellschaft geliefert. Man suche nach dem Sinn der Sache.
Aber egal, das Leben ist eh’ voller Rätsel, so wie diese alten Mahagoni-Sekretäre
aus der Biedermeierzeit, in denen verschachtelt und versteckt überall
kleine Geheimfächer lauern.
Die geplagte Kollegschaft – mittlerweile vollständig versammelt
- hockt nun also vor gleich mehreren Din A4 Fächern, Din A3 Schubern
und dergleichen mehr bis zum Universaleinschub mit Federschwinge. Jetzt
heißt es suchen, wo sich das J 91 – Fach verbirgt, weil sich der
Kopierer dort ja angeblich verschluckt hat, wie er behauptet. Hat man die
Stelle dann gefunden, stellt man gewöhnlich fest, daß es dort
überhaupt keinen Fehler zu beheben gibt. Die Warnleuchte ist auch
tatsächlich nicht mehr zu sehen.
Das aber nur, weil sie durch eine neue Fehlermeldung ersetzt wurde.
Genervt, aber vom humboldtschen Forscherdrang befallen, sucht man also
– nun schon in einzelne Expeditionsteams gegliedert - nach dem nächsten
Fach. Und stellt wieder keinen Fehler fest. Das Gerät bockt weiterhin.
Erneut zeigt es nebulöse Ziffern an. Der eine oder andere fühlt
sich schmerzhaft an seine Kindheit erinnert und kann sich des Eindrucks
nicht erwehren, hier laufe „Kopieren nach Zahlen“ ab.
Irgendwann kommt jemand dann zu dem löblichen Entschluß,
sich an das Handbuch zu wagen. Handbücher brillieren eigentümlichweise
sehr selten durch Übersichtlichkeit und Natürlichkeit der Gestaltung.
Dies steht wahrscheinlich in direkter Beziehung mit der Unvollkommenheit
der Subjekte ihrer Beschreibung.
Doch keine Angst vor dem Handbuch eines Kopierers. Da gibt es Schlimmeres.
Das Handbuch zur Boeing 747 soll 41.000 Seiten haben.
Also frisch ans Werk!
Erfindungen entstehen in den seltensten Fällen aus Bequemlichkeit,
wie es uns unbeirrte Aphoristiker noch immer glauben machen wollen, sondern
meistens aus Langeweile.
Die Produkte dieser Beschäftigungstherapien nehmen dann gleich
dem Rest der Menschheit seine Langeweile. Egal, ob da überhaupt jemand
unter einer solchen leidet...
So kommt es, dass wir unsere Zeit mehr und mehr damit verbringen, die
Tücken der Technik zu ergründen, und dass letztere uns heute
immer mehr vorschreibt, was wir zu tun haben. „Papier nachfüllen!“
Das Problem an der Sache ist daß wir uns heute auch noch daran
halten müssen. Wir müssen mit der Technik leben, weil wir sie
zur Grundlage unserer Existenz gemacht haben. Wer weiß denn heute
noch, wie man sich ohne Mikrowelle schnell was zu Essen bereitet? Oder
ohne Auto zum Bäcker kommt?
Wie konnte es nur dazu kommen? Warum gaben wir das Ruder an die Technik
ab?
Bei Lichte besehen erscheint alles als eine Folge narzisstischer Eitelkeiten.
Der Mensch ergötzt sich am Unvollkommenen, in dem er es selbst entwirft.
Dadurch wertet er sich selber auf. Wenn der Kopierer streikt, dann ist
das kein unmittelbares menschliches Versagen. Wir sind nicht schuld daran,
daß er uns die falschen Fehler meldet. Dafür ist er selber verantwortlich.
Nicht mehr über die Perfektion unserer Erfindungen beweisen wir
unsere eigene Überlegenheit, sondern gerade durch die Fehler der Technik.
Anders ist die weite Verbreitung des Kopierers nicht zu erklären.
Wo sollte sonst auch der Reiz an der Arbeit mit dem Computer liegen?
Alles Unnatürliche ist Unvollkommen. Dann muß der Mensch
natürlich vollkommen sein!
Wie beruhigend ist diese Erkenntnis! Endlich können wir uns der
Vollkommenheit annähern, indem wir uns der Unvollkommenheit bedienen.
Endlich können wir die eigenen Fehler abwerfen, die uns selber unvollkommen
machten. Köstlich, all diese Windows ’98 Witze! Beruhigend, die gelegentlichen
Flugzeugabstürze. Die Technik hat doch noch nicht gesiegt. Niedlich,
diese vollkommen primitiven Plastikhündchen mit eingebautem Mikrochip
– der Natur augenscheinlich doch noch unheimlich unterlegen!
Der Roboter ist der Neandertaler der Zukunft. Der Sündenbock des
Informationszeitalters. Die Zeiten des „menschlichen Versagens“ sind vorbei.
Endlich können wir rufen: „Irren ist technisch!“
Ich kann mich natürlich auch geirrt haben...
 
 
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3.Ausgabe_17.12.2000 |